Wie Achtsamkeit Agilität fördert

Abschlussarbeit von Sarah Niebergall, als PDF lesen


Wir müssen agiler werden!

heißt es heutzutage in vielen Organisationen. Dabei ist „agiler werden“ ein herausforderndes Ziel, denn agil bedeutet flexibel und reaktionsschnell, wohingegen Organisationen von ihrer Grundstruktur her auf Stabilität ausgelegt sind.

Was also braucht es, damit es dennoch gelingen kann?

Das unglaublich spannende, aber auch komplexe, an einer agilen Transformation ist, dass Veränderungen auf zwei Ebenen stattfinden, die sich gegenseitig bedingen und unterstützen.  Jedoch während der Transformationsphase aber auch immer wieder herausfordern und in Spannung zueinanderstehen:

Die Personen in einer Organisation brauchen ein agiles Mindset und die Strukturen, Prozesse und Abläufe der Organisation müssen verändert werden.

Häufig kommt genau hier ein Agile Coach ins Spiel. Ein Agile Coach ist inhaltlicher Experte für Agilität. Ebenso gehört es in sein Aufgabenfeld zu beobachten, Feedback zu geben, Lernen zu fördern und anderen etwas beizubringen (vgl. Kotbra &Miarka (2019): S.9).

Die Arbeit eines Agile Coach findet damit ebenso auf zwei Ebenen statt. Die eine ist prozess- und strukturseitig die Implementierung von agilen Methoden, die andere die Förderung des agilen Mindsets (vgl. Kotbra & Miarka (2019): S.8). Mindset definiert Svenja Hofert (2018: S.VII) als das logische Raster, mit dem Menschen und Gemeinschaften Informationen aufnehmen und einsortieren, aber auch als Raster, mit dem sie Handlungen produzieren.

Ein agiles Mindset wiederum charakterisiert sich dadurch, dass es beweglich ist und

(…) jederzeit in der Lage, sich ein Update aufzuspielen, wenn bessere Informationen, neue Erfahrungen, anderes Erleben das nötig machen
(Hofert (2018): S.VII f.).

Doch wie verändert man ein Mindset oder erreicht ein agiles Mindset?

Die vorliegende Ausarbeitung wird diese Frage nicht abschließend klären können, soll aber eine Annäherung in zwei Schritten schaffen.

Im ersten Schritt werden Rahmenbedingungen skizziert, die gemäß aktueller Erkenntnisse aus der Forschung förderlich sind, damit Individuen bereit sind, sich auf Veränderungen einzulassen.
Im zweiten Schritt wird das Thema Achtsamkeit aufgenommen und genauer betrachtet, warum Achtsamkeit förderlich für Agilität ist, denn die Deutsche Gesellschaft für Personalführung (DGFP 2019) proklamiert, dass Achtsamkeit und Agilität unbedingt zusammengehören und der Zusammenhang aus beiden Perspektiven funktioniert:

So könne Achtsamkeit als Grundlage für Agilität betrachtet werden, andererseits aber auch agile Methoden als Praktiken der Achtsamkeit beleuchtet werden

Rahmenbedingungen für agilen Wandel oder wie verändert man ein Mindset

Eins gleich vorweg: Mindsetarbeit ist ein hochkomplexes Thema und ein agiles Mindset kann natürlich nicht von außen aufgezwungen oder verändert werden.

Wohl aber können Organisationen Rahmenbedingungen für ein lernförderliches Klima schaffen und Impulse setzen. Dazu ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Verhaltensweisen, die jahrelang, vielleicht jahrzehntelang, eingeübt und ausgeführt wurden, sich nicht über Nacht verändern werden.

Dieser Umbau im Gehirn kostet viel mentale Energie, die einem gestressten und bedrohten Gehirn nicht zur Verfügung steht. (Spiecker (2019): o.S.).

Oder andersherum mit den Worten von Gerald Hüther (2018): S.30):

Die besten und kreativsten Einfälle haben wir – und die interessantesten Entdeckungen machen wir und am effektivsten lernen wir Neues – immer dann, wenn wir überhaupt keine Angst haben. Wenn es uns richtig gut geht und alles passt.

Wann also ist das so, dass es Menschen in sozialen Situationen richtig gut geht?

Das Scarf-Modell von Rock (2008 + 2009), zitiert nach Kotbra & Miarka (2019): S. 143ff) unterscheidet fünf soziale Grundbedürfnisse, deren Reihenfolge keiner hierarchischen Logik folgt.

Das erste ist Status, verstanden als die persönliche Stellung im Vergleich zu anderen.
Das zweite ist Certainty (Gewissheit), was das Bedürfnis nach Klarheit meint und die Möglichkeit, passende Vorhersagen zur eigenen Zukunft zu treffen.
Darauf folgt Autonomy (Selbstbestimmtheit), also das Bedürfnis danach, Kontrolle über die Ereignisse im eigenen Leben und Einfluss auf die eigene Situation zu haben.
Relatedness (Verbundenheit, Zugehörigkeit) beschreibt den Wunsch nach Verbundenheit zu anderen Menschen sowie Sicherheit im Umgang mit ihnen.
Als fünftes folgt dann Fairness (Gerechtigkeit) als das Bedürfnis nach gerechtem und unvoreingenommenem Austausch zwischen Menschen

Der Erfüllungsgrad dieser grundlegenden sozialen Bedürfnisse in einer Situation führt dann dazu, ob eine Person in eine Kooperation oder in den Widerstand geht (Kotbra & Miarka (2019): S. 143).

Die Erklärung dafür ist neurophysiologisch, denn das Gehirn unterscheidet in seinen Reaktionen nicht zwischen körperlichem oder sozialem Erleben.

So führt sozialer ebenso wie körperlicher Schmerz zum Anstieg eines Testosteronlevels und auf der anderen Seite werden positive soziale Interaktionen im Gehirn mittels Dopamins und Oxcitocyn honoriert.
(ebd)

In Anbetracht der Vielschichtigkeit und Reichweite der sozialen Grundbedürfnisse wird schnell vorstellbar, was für ein komplexes Unterfangen Veränderungsprozesse und auch agile Transformation darstellen.

Und selbstverständlich ist es nicht in jedem Moment möglich, alle Bedürfnisse zu erfüllen, wichtig ist es dann, entsprechend damit umgehen zu können.

Achtsamkeit kann hierbei unterstützen. Bevor hier auf die synergiestiftenden Aspekte eingegangen wird, soll Achtsamkeit jedoch zunächst grundsätzlich eingeführt werden.

Achtsamkeit

Achtsamkeit ist ein Konzept, das in seine Ursprünge mehrere tausend Jahre alt ist und gleichzeitig als Trendthema seit einigen Jahren Einzug in die Arbeitswelt hält (vgl. Chang-Gusko (2019) S.5).

In der buddhistischen Lehre stellt Achtsamkeit ein zentrales Element dar, um von Leiden zu befreien und den Geist zu öffnen (ebd.) Der Begriff Achtsamkeit stammt aus dem buddhistischen Wort „Sati“, das übersetzt so viel wie „die Absicht des Geistes“, „Aufwachen des Geistes“ und „Klarheit des Geistes“ bedeutet.

Um 1870 hatte der britische Friedensrichter und Pali-Forscher Thomas Williams Rhys den Begriff als „Mindfullness“ ins Englische übersetzt (ebd.).

Inzwischen existieren diverse Definitionen und Konzepte von Achtsamkeit und deren Anwendung, die vom psychologischen Verständnis als >>spezifischen trainierbaren Bewusstseinszustand<< zu einer Verringerung von affektiver Reaktivität führen kann, bis hin zu Befürwortern einer achtsameren Unternehmensführung, die sich durch eine vermehrte Beachtung von Fragen der Work-Life Balance auszeichnet (vgl. Chang-Gusko (2019) S.7).

Im Rahmen dieser Ausarbeitung von besonderer Relevanz sind sozial-kognitive Perspektiven auf Achtsamkeit.

Ihr Fokus liegt auf der kognitiven Anwendung von Achtsamkeit als Beitrag zur Lösung sozialer Probleme (vgl. Chang-Gusko (2019) S.10). Hier steht Achtsamkeit als Gegenpol zu Unachtsamkeit im Sinne verfestigter und dominanter Gedanken und Handelsmuster wie beispielsweise Gewohnheiten, Routinen und Automatismen – sowohl auf individueller als auch Ebene von sozialen Gruppen (ebd.).

Achtsamkeit kann durch verschiedene Praktiken kultiviert werden, eine weit verbreitete und sehr populäre ist das Mindfulness-Based-Stress-Reduction Programm, das Jon Kabat-Zinn begründet hat. Jon Kabat-Zinn hat sieben Grundfaktoren herausgearbeitet, die den achtsamen Geist beschreiben, der durch MRSR herausgearbeitet und gestärkt werden sollen.

Nun ist der Begriff „Geist“ nicht ganz gleichzusetzen mit dem Begriff des Mindset, aber dann doch irgendwie sehr nah dran und deshalb werden die einzelnen Aspekte im nachfolgenden Schaubild dargestellt:

 


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