Vom Problemfokus in den Lösungsfokus

Die Macht der Fokusverschiebung

Abschlussarbeit von Jennifer Bätzold, als PDF lesen


Einführung

Wenn ein Klient ins Coaching kommt, bringt er in der Regel ein konkretes Anliegen mit

Ihn beschäftigt ein Thema, welches sich für ihn problematisch darstellt und für dessen Lösung er Unterstützung sucht.

Der Ansatz, sich zunächst intensiv mit dem Problem zu befassen, dieses zu verstehen und seine Ursachen zu analysieren um dann in einem zweiten Schritt in eine Lösungsfindung zu kommen, liegt da nahe und ist zudem ein sehr menschlicher und auch „gelernter“ Ansatz.

So ist es zum Einen so, dass Menschen sich gut fühlen, wenn sie Mitgefühl und Verständnis zeigen können und zum Anderen unterliegen die meisten Menschen der Negativitätsverzerrung.

Das bedeutet, dass es uns tendenziell leichter fällt – und wir es gesellschaftlich auch gewohnt sind – den Fokus auf Probleme und negative Ereignisse zu legen und uns damit intensiv zu befassen.

Doch hilft eine solche Vorgehensweise einem Klienten, dessen übergeordnetes Ziel es doch ist, sich nach dem Coaching etwas besser und seiner Lösung einen Schritt näher zu fühlen?

Eine kurzfristige Besserung tritt sicherlich ein („Ich werde verstanden“), fraglich ist jedoch, ob die Problemfokussierung mittel- bis langfristig dazu beiträgt, dass der Klient in selbstwirksame Handlungen kommt, um seine Zukunft so zu gestalten, wie er es sich wünscht.

Vor diesem Hintergrund möchte ich auf den nächsten Seiten beleuchten, wie eine alternative Herangehensweise im Coaching aussehen kann, wo die hauptsächlichen Unterschiede eines lösungsorientierten Ansatzes im Vergleich zum problemorientierten Ansatz liegen und wie konkret der Coach den Coachingprozess lösungsorientiert gestalten kann.

Im weiteren Verlauf der Arbeit möchte ich versuchen, eine Verbindung herzustellen zwischen lösungsorientierten Ansätzen bzw. dem diesen Ansätzen zugrunde liegenden Menschenbild und den aktuellen Herausforderungen und Themen, die uns in der Arbeitswelt beschäftigen:

Eine stetig steigende Komplexität und den Forderungen nach neuen Formen der Arbeitsorganisation (Stichwort „Agilität“ und „New Work“).

Hier möchte ich Überlegungen anstellen und Hypothesen bilden, wie lösungsorientiertes Denken dabei helfen kann, diesen Herausforderungen zu begegnen.

 Klärung von Begrifflichkeiten: Problem- vs. Lösungsorientierung im Coaching

Die sogenannte „Problemorientierung“, also die intensive Beschäftigung mit dem Problem des Klienten sowie die Analyse der Problemursachen, ist die klassische Herangehensweise in der (Psycho)therapie.

Dieser Ansatz ist vor allem dadurch charakterisiert, dass es in der Regel vergleichsweise lange dauert, bis der Klient zum Lösungsdenken übergeht, weil zunächst viel Zeit und Energie auf die Problembeschreibung und -analyse gelegt wird.

Der Fokus auf das Problem des Klienten führt zur sogenannten „Problemtrance“:

Durch die intensive Beschäftigung mit dem Problem wird der Problemzustand weiter stabilisiert und der Klient „kreist“ um sein Problem.

Eine weitere Charakteristik ist der starke Vergangenheitsbezug:

Das Problem ist ja schon geschehen. Durch die tiefgehende Analyse dessen bewegen sich Coach und Klient in der Vergangenheit und versuchen gemeinsam zu verstehen, was schiefgelaufen ist beziehungsweise wo der Fehler gelegen hat, um derartige Situationen zukünftig anders angehen zu können.

Auch wenn der problemorientierte Ansatz natürlich seine Daseinsberechtigung hat, entwickelten Steve de Shazer und Kim Insoo Berg in den 1970er Jahren eine neue Form der Gesprächsführung und stellten dabei die Lösungsfokussierung in den Mittelpunkt.

Im Gegensatz zum problemorientierten Ansatz soll dabei der Blick von Klient und Coach auf Ressourcen und Chancen für zukünftige Lösungsfindungen gerichtet werden.

Der „Lösungsfokussierten Kurzzeittherapie“ nach de Shazer und Berg liegen verschiedene Prinzipien zugrunde:

Kunden- und Ressourcenorientierung

Der Klient wird als Experte für sein Problem und vor allem als Experte für seine Lösung des Problems angesehen.

Alle Aspekte von Verhalten und Erleben, die der Klient in das Coaching mitbringt, können als Ressource gesehen werden: Erfahrungen, Bedürfnisse, persönliche Zu- oder Abneigungen, Interessen oder Gewohnheiten.

Aufgabe des Coaches ist es, den Klienten durch eine zielführende Gesprächsführung mit seinen Ressourcen in Kontakt zu bringen und mit ihm zu erarbeiten, wie er diese nutzen kann.

Trennung von Problem und Lösung

Dass Problem und Lösung zwangsläufig miteinander zusammenhängen müssen, ist eine Herangehensweise, die aus Fehlerbehebungen in technischen (komplizierten) Systemen stammt.

Dort mag dies auch weitestgehend korrekt und zielführend sein. Übertragen auf komplexe, zwischenmenschliche Systeme stimmt dies jedoch nicht immer.

Schon Einstein sagte, dass man ein Problem nicht auf dem gleichen Weg lösen kann, wie es entstanden ist. Dieser Logik folgt auch der lösungsorientierte Ansatz im Coaching:

Die Lösung eines Problems hat nicht notwendigerweise etwas mit dem Problem selber zu tun. Es ist somit nicht wichtig, das Problem zu lösen, sondern sich von dem Problem zu lösen.

Zirkularität

Basierend auf der Systemtheorie geht auch der lösungsfokussierte Ansatz davon aus, dass die Verhaltensweisen von Einzelnen immer durch das System / die Verhaltensweisen von Anderen beeinflusst werden.

Die Auseinandersetzung mit dem System des Klienten ist somit ein relevanter Aspekt bei der Lösungsfindung.

Sparsamkeit und Pragmatismus

Die Gesprächsführung soll kurz, einfach und „sparsam“ sein.

Das lösungsorientierte Coaching sucht pragmatisch nach allem „was hilft“ und versetzt den Klienten in die Situation, hilfreiche Veränderungen schnell umsetzen zu können.

Zusammenfassen lässt sich dieses Prinzip in zwei Stichsätzen:

1.Finde heraus, was hilft – und tue mehr davon!

2.Repariere nichts, was nicht kaputt ist!

Konstruktivität

Spekulationen über kausale Zusammenhänge von Ursache und Wirkung sind nicht Bestandteil des lösungsorientierten Coachings.

Aufgabe des Coaches ist es vielmehr, herauszufinden, wie die Realität des Klienten konstruiert ist und vor allem durch lösungsorientierte Fragen und die Verschiebung des Fokus eine Realität zu konstruieren, die eine angenehme und erstrebenswerte Gegenwart und Zukunft beinhaltet.

Eine motivierende und attraktive Zielvorstellung, die dem Klienten zudem realistisch erscheint, führt dazu, dass der Weg dorthin auch leichter begangen werden kann.

Die Auswirkungen des lösungsorientierten Ansatzes aus der Perspektive des Klienten

Alle Ansätze, Interventionen und Methoden beim Coaching werden ausschließlich aus einem Grund gewählt:

Sie sollen möglichst hilfreich für den Klienten sein. Daher ist die zentrale Frage, was der Mehrwert für den Klienten ist, wenn ein Coaching lösungsorientiert durchgeführt wird.

Steve de Shazer bringt den Mehrwert eines lösungsorientierten Vorgehens mit diesem Zitat auf den Punkt:

Reden über Probleme lässt Probleme wachsen, reden über Lösungen lässt Lösungen wachsen.

Was heißt das konkret?

Der lösungsfokussierte Ansatz unterstützt den Klienten dabei, ein möglichst konkretes Bild seiner erwünschten Zukunft zu entwickeln.

Dabei muss die „Zukunftsvision“ gar nicht zwangsläufig in direkter Verbindung mit der aktuellen Problemsituation stehen.

Die momentan wahrgenommenen Probleme rücken dadurch häufig in den Hintergrund und der Fokus des Klienten richtet sich auf das Ziel.

Die Frage „Was will ich erreichen / wo will ich hin?“ bringt dabei andere Antworten hervor als die Frage „Was will ich nicht mehr / wovon will ich weg?“.

So wird auch deutlich, dass die Vergangenheit und Gegenwart des Klienten nicht vorgeben, wie die Zukunft auszusehen hat. Gleichwohl ist bei der Entwicklung der Zukunftsvision ein gewisser Realismus vonnöten.

Nur wenn diese vom Klienten als gestaltbar erlebt wird, kommt er in einen Zustand der Selbstwirksamkeit.

Selbstwirksamkeit bezeichnet dabei die Überzeugung, eine bestimmte Situation erfolgreich bewältigen zu können.

Auch ist für ein selbstwirksames Empfinden ein Gefühl für das eigene Können und die eigenen Ressourcen elementar. Der Klient muss davon überzeugt sein, dass er die Situation (= seine Zukunftsvision) mit seinen Ressourcen und Fähigkeiten bewältigen beziehungsweise umsetzen kann.

Dies führt uns zu einer der wichtigsten Aufgaben des Coaches, der ein lösungsorientiertes Coaching durchführt, auf die ich im nächsten Abschnitt näher eingehen möchte.


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