Abschlussarbeit von Dietmar Stegers, als PDF lesen
Unboxing liegt schon geraume Zeit im Trend. Gerade im Internet finden sich unzählige Videos von Menschen, die etwas auspacken und präsentieren und andere Menschen daran teilhaben lassen. Dabei macht unboxing sich die Freude der Menschen und die Aufregung vor oder beim Auspacken der Ware zunutze.
Gerade auch in der Werbebranche machen sich mehr und mehr Firmen dies zunutze und setzen professionell damit ihre Ware ins Rampenlicht.
Beim unboxing coaching soll es aber etwas unspektakulärer und mit weniger Tamtam zugehen, aber dennoch verbildlicht diese Metapher sehr anschaulich, worum es in dieser Hausarbeit gehen soll.
Man hat jetzt das Paket mit „Coaching“ vor sich. Gerade erst ist es angekommen.
Langsam und vorsichtig wird die Verpackung entfernt und langsam kommt Stück für Stück das Ersehnte ans Tageslicht.
Von allen Seiten wird es angeschaut. Das Handbuch wird gelesen. Erste Funktionen werden ausprobiert und getestet.
Mehr und mehr macht man sich mit seiner neuen „Ware“ vertraut, lernt was es ist und was nicht, was man damit machen kann oder auch nicht und seine Vor- und auch Nachteile kennen.
Also packen wir es mal so langsam aus.
Die blinden Männer und der Elefant
Es waren mal sechs Männer, die wollten viel erfahren.
Die gingen, um einen Elefanten zu sehen, obwohl sie alle blind waren, und jeder wollte durch seine Betrachtung Wissen erlangen und bewahren.
Die Blinden kamen zu dem Schluss, dass der Elefant wie eine Wand, eine Schlange, ein Speer, ein Baum, ein Fächer oder ein Tau sein müsse, je nachdem, wo sie ihn befühlt hatten. Sie gerieten darüber in eine hitzige Debatte, wer denn nun die Wahrheit auf seiner Seite hätte.
Und die Moral von der Geschichte:
Was der Eine als Wahrheit erkannt hat, schmähen die Anderen als Lüge, Und plappern über einen Elefanten, den keiner je gesehen hat!
nach der Version von John Godfrey Saxe (1816-1887)
In diesem Zusammenhang ist es gut zu wissen, dass der Begriff „Coach“ in Deutschland keinesfalls geschützt ist und es dazu keine staatlich anerkannte Ausbildung mit entsprechenden Ausbildungsstatuten und einheitlichen Qualitätsstandarts gibt.
Gemäß dem kölschen Motto „Jeder Jeck ist anders“, gibt es diesbezüglich unterschiedliche Ansichten, was es denn dann nun eigentlich ist…. „das Coaching“.
In der Auseinandersetzung mit dem Thema bin ich auf ein Buch von Thomas Schulte gestoßen, der sich u.a. kritisch mit dem Begriff Coaching auseinandersetzt und aus seiner Sicht mit Unfug und Halbwahrheiten aufräumt.1/p>
Was scheint es dann schon mal nicht zu sein … „das Coaching“?
Thomas Schulte gibt in seinem Buch insgesamt 6 Irrtümer bezüglich Coaching an:
Irrtum Nr. 1: Coaching ist Hilfe zur Selbsthilfe
Lt. Schulte sei diese Aussage paradox und missverständlich formuliert.
Entweder man helfe einem Menschen oder aber er helfe sich selber… aber beides gehe nicht, zumindest nicht gleichzeitig. Weiter sei die Begrifflichkeit falsch, da Helfen impliziere, jemandem etwas abzunehmen und für ihn zu tun und zudem impliziere sie, dass es ein Wissens- oder Know How Gefälle zwischen Coach und Klient gäbe.
Dies könne zwar manchmal der Fall sein, sei aber nicht die Regel Lt. Schulte könne ein guter Coach insbesondere dann auch gut coachen, wenn er diesen Vorsprung nicht hätte, da es viel wichtiger sei, sich im Coachingverlauf gut zu ergänzen.
Irrtum Nr. 2: Coaching ist ein Prozess, bei dem der Coach die Prozessverantwortung trägt
Schulte teilt die beiden Aussagen auf.
Der Begriff der Prozesshaftigkeit sei in seinen Augen irreführend, da Coaching zwar auch in Teilschritten ablaufe, diese aber in der Regel nicht in einem durch sequenziell durchlaufen werde.
Oft ändere sich im Rahmen des Coachings der Auftrag, weil der Klient vielleicht neue Erkenntnisse gewonnen habe und man springe dann im Verlauf zu unterschiedlichen Phasen des “Prozesses“.
Und beim Coaching beeinflusse man sich gegenseitig und befinde sich in einem dynamischen Wechselspiel ähnlich einem Tanz bei dem beide Partner die Verantwortung für ein gelungenes Miteinander tragen.
So würden beide Partner im Coaching gemeinsam die Verantwortung für das Coaching übernehmen, wobei Schulte schon einräumt, dass der Coach die Verantwortung dafür trage, dem Coachee die Zusammenhänge zu Beginn des Coachings zu erklären und ihm den partnerschaftlichen Charakter nahe zu bringen.
Irrtum Nr. 3: Coaching ist Therapie für Gesunde
Diese Aussage sei lt. Schulte schon nicht richtig, da der Begriff Therapie ausschließlich vorgesehen sei für Erkrankte.
Ergo gäbe es also auch keine Therapie für Gesunde.
Die Aussage, es sei Therapie für Gesunde, verschiebe lediglich die Definition von Coaching auf die Definition von Gesundheit, was ebenfalls nicht zielführen sei. Desweiteren impliziere es erneut ein Gefälle von Wissen und Know How im Rahmen der Beziehung zueinander.
Irrtum Nr. 4: Coaching ist eine individuelle Beratung oder ein individuelle Training
Diese Aussage werde häufig von Beratern und Trainern verwendet, die Coaching mit in ihr Portfolio aufgenommen hätten.
Dabei würde aber aus deren Dienstleistung nichts anderes, nur weil sie es in einem individuellen Rahmen packen würden.
Training bliebe Training und Beratung bliebe Beratung. Zum anderen führt Schulte zudem auf, dass es Coaching auch für Gruppen und Teams gebe und Individualität daher kein Musskriterium darstelle.
Irrtum Nr. 5: Im Coaching gibt es Interventionen
Von Interventionen im Rahmen von Coaching zu sprechen, mache für Schulte keinen Sinn, da er nicht interveniere, sondern beim Coaching vielmehr mit dem Klienten interagiere. Intervenieren bedeute dazwischen gehen, unterbrechen, verhindern.
Diese aggressiven Bezeichnungen seien für ihn aber ihm Rahmen einer professionellen Partnerschaft zwischen Coach und Klienten nicht die adäquaten Begrifflichkeiten.
Irrtum Nr. 6: Im Coaching gibt es Scharlatane und schwarze Schafe
Schulte räumte schon ein, dass es sicher Ausnahmen gäbe, diese seien aber aus seiner Sicht zu vernachlässigen, da:
▪ Eine Umfrage der International Coaching Federation (ICF) eine 95% Zufriedenheit von Klienten zutage gebracht habe.
▪ Das Medienecho in den letzten Jahren parallel zu den Wachstumszahlen und somit auch die öffentliche Kontrolle gestiegen sei.
▪ Die Klienten schon aufgrund des Placeboeffektes für sich schon Vieles aus dem Coaching herausziehen könnten, sofern sie an die Wirksamkeit glaubten.
Was ist es denn nun dann…. „das Coaching“ ?
Der weltweit größte Coachingverband (International Coaching Federation ICF) definiert Coaching auf seiner Internetseite folgendermaßen:
…als „partnerschaftlichen und zum Nachdenken anregenden Prozess, der Menschen und Organisationen kreativ dabei unterstützt, ihr persönliches und professionelles Potential zu steigern.”
Durch den Coaching-Prozess können Klienten umfassend lernen, ihre Leistungen zu verbessern und die Lebensqualität zu erhöhen.
In jeder Coaching-Sitzung wählt der Klient den Schwerpunkt der Konversation, während der Coach intensiv zuhört und mit Beobachtungen und Fragen zur Seite steht.
Die Interaktion führt den Klienten zu umfassender Klarheit und aktivem Handeln.
Coaching beschleunigt die Fortschritte des Klienten indem es ihm die Konzentration auf Schwerpunktthemen und die deutlichere Wahrnehmung von Wahlmöglichkeiten anbietet. (siehe auch)2
Wie müsste man dann als Coach ticken, also welche Haltung müsste man dann als Coach dem Klienten und dem Coachingverlauf gegenüber haben, um der Definition von Coaching des ICF´s gerecht zu werden?
Ob Coaching im Rahmen dieser professionelle Partnerschaft zur Zielerreichung gelingen kann hängt sehr stark von der Haltung des Coaches und des gesamten Coachingrahmens ab.
Das Fundament, auf dem das systemische Coaching steht.
Die Konstruktion von Wirklichkeit
Zwei mal drei macht vier, Widdewiddewitt und drei macht neune, ich mach mir die Welt, Widdewiddewitt, wie sie mir gefällt.
Hey Pippi Langstrumpf, Hollahi hollaho holla hopsassa
Hey Pippi Langstrumpf, die macht was ihr gefällt.
(Liedtext Pippi Langstrumpf)
Im Titellied von Pippi Langstrumpf kommt das zum Ausdruck, was Paul Watzlawick als Vertreter des radikalen Konstruktivismus aus wissenschaftlicher Sicht bestätigte.
Der radikale Konstruktivismus beschreibt, dass eine Wahrnehmung über die menschlichen Sinne kein Abbild einer vom Bewusstsein unabhängigen Realität liefert, sondern dass Realität für jeden Menschen immer eine Konstruktion aus seinen Sinnesreizen und seiner Gedächtnisleistung darstellt.
Deshalb ist eine Objektivität im Sinne einer Übereinstimmung von wahrgenommenem (konstruiertem) Bild und Realität unmöglich.
Das bedeutet, dass jede Wahrnehmung vollständig subjektiv ist. (Die Landkarte ist nicht die Landschaft)
Dabei wird die Welt über unsere Sinneskanäle wahrgenommen (VAKOG)
V isuell
A uditiv
K inesthetisch
O lfaktorisch
G ustatorisch
Wenn man also davon ausgeht, dass es keine objektive Wirklichkeit gibt, sondern nur eine subjektiv Konstruierte, dann hieße dies, dass man auf die Konstruktion seiner eigenen Wirklichkeit Einfluss nehmen und sie verändern kann.
Dabei bestimmt die Aufmerksamkeitsfokussierung, über das eigene innere Erleben.
Dass worauf ich meinen Fokus lege, mache ich groß.
Auf dieser Basis funktioniert auch eine Lupe, mit der man sich auf Teilaspekte oder Details konzentrieren kann, sie groß machen kann, um sie ganz genau zu betrachten.
Die Qualität des eigenen Lebens hängt dann davon ab, welche Fragen ich mir in meinem Leben stelle, worauf ich meinen Fokus lege und wie ich dies alles für mich interpretiere.
Demnach entwickeln sich Muster des Erlebens.
Insbesondere im Coaching wird über den Einsatz von Fragen, der Fokus des Klienten von einem Problemmodus hin zu einem Lösungsmodus gelenkt, in dem ihm zur Veränderung entsprechende Ressourcen zu Verfügung stehen.
Wenn man diese o.g. Idee zu seiner eigenen Wirklichkeit macht, welche Auswirkungen hätte dies dann? Dann wäre tatsächlich fast alles möglich. Gedanken schaffen Realität.
Interessanterweise finden sich in der Bibel schon entsprechende Textpassagen, die sich damit befassen:
„Bittet um was ihr wollt, glaubt nur, dass ihr erhalten habt und es wird euch werden.“
Markus 11:24
„Da rührte er ihre Augen an und sprach: Euch geschehe nach eurem Glauben. Und ihre Augen wurden geöffnet.“
Mathäus 9:29/30
Und selbst in der heutigen Persönlichkeitsentwicklung findet sich fast überall das Credo, welches eindrucksvoll im Vortrag von Patti Dobrowolski 2015 bei TedX Rainier vorgetragen wurde, nämlich3:
See it !
Believe it !
Act on it !
Quellen bis hierher
1 Schulte, Thomas, Der Weg zum professionellen Coach, Weinheim 2013, S. 14 f.
2 https://www.coachfederation.de/verband/ueber-die-icf.html
3 https://www.youtube.com/watch?v=4vl6wCiUZYc&list=PL2kvkF7i9Q6XKD4K7dPKeygMpZlmLSE2g&index=1