Mehr als nur ein Caochging-Ansatz
Abschlussarbeit von Lisa Aldiek, als PDF lesen
Motivation
Seit mehreren Jahren beschäftige ich mich intensiv mit dem systemischen Ansatz sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext. Ich habe schnell gemerkt welche Wirkung die systemische Haltung auf mich und meine Sichtweise auf Menschen, Prozesse und das Leben hat. In dieser Arbeit möchte ich aufzeigen, weshalb ich davon überzeugt bin, dass die systemische Haltung mehr als nur ein Coaching-Ansatz ist.
Was bedeutet eigentlich System?
Die systemische Haltung umfasst die Art und Weise wie man generell auf Menschen und Systeme blickt.
Zunächst einmal ist es dafür hilfreich, sich mit der Definition des Begriffes „System“ auseinanderzusetzen.
Ein System besteht aus unterschiedlichen Elementen, die sich gegenseitig beeinflussen oder voneinander abhängig sind. Sie ergeben zusammen ein Ganzes.
Jede/r von uns ist Teil verschiedener Systeme und steht in Verbindung mit vielen unterschiedlichen Systemen mit sehr verschiedenen Einflüssen und Auswirkungen. Beispiele dafür sind die Familie, die Schule, Unternehmen, der Freundeskreis, der Sportverein usw. In jedem System gibt Wechselwirkungen und Abhängigkeiten untereinander.
Dabei hat alles was gesagt oder nicht gesagt, getan oder nicht getan wird Auswirkungen auf das Restsystem.
Ein schönes Beispiel dafür ist ein Mobile; Wenn dort ein Teil in Bewegung kommt, kommen auch die anderen Teile in Bewegung. Dabei ist nicht immer vorherzusehen, wie diese sich genau bewegen werden. Wenn sich ein Teil im System also ändert hat das einen Einfluss auf das gesamte Restsystem.
Verlässt eine Führungskraft beispielsweise das Team und es kommt eine neue hinzu, hat dies nicht nur einen Einfluss auf die gehende und die kommende Person, sondern auch auf das gesamte Team. Wenn ein Coachee beschließt ihr Verhalten zu ändern, indem sie beispielsweise im Freundeskreis klarer die eigenen Bedürfnisse kommuniziert, hat auch das einen Einfluss darauf wie das Restsystem auf diese Veränderungen im Verhalten reagiert.
Es sind vor allem auch diese Wechselwirkungen, die betrachtet werden. Es geht also nicht um die Schuld- oder Ursprungsfrage, sondern um die Wahrnehmung einer Reaktion und Gegenreaktion. So spielt der Kontext bei allem was wir tun und wahrnehmen eine große Rolle.
Meine Berührungspunkte mit dem systemischen Ansatz
Systemische Familientherapie im Psychologiestudium
Das erste Mal in Kontakt mit dem systemischen Ansatz kam ich in meinem Psychologie-Studium. Der Fokus lag damals auf der systemischen Familientherapie.
Wir haben über ein Fallbeispiel gesprochen, bei dem ein Mädchen eine Essstörung entwickelt hat.
Das Mädchen lebte in einer sehr harmoniebedürftigen Familie, in der Konflikte in der Regel nicht ausgetragen wurden. Auch zu der Zeit gab es einen unausgesprochenen Konflikt, der das Mädchen sehr belastete. Die Essstörung war in dem Fall das Sichtbarmachen dieses Konfliktes und dementsprechend nur ein Symptom dessen.
Das Mädchen war dabei lediglich die Symptomträgerin. Damals lernte ich, dass man in der Therapie Menschen und Situationen nicht losgelöst von ihrem Kontext betrachten sollte und man das Problem nur dann bearbeiten kann, wenn man das ganze System im Blick hat. Dies war in dem Fall die Familie.
Ich fand diese Sichtweise sehr spannend und mich inspirierte der Gedanke Zusammenhänge stärker zu beleuchten und das Problem hinter dem Problem besser zu verstehen. Ich merkte schnell, dass diese Sichtweise nicht nur im therapeutischen Kontext hilfreich war, sondern durchaus auch auf andere Bereiche übertragen werden kann.
Systemische Organisationsentwicklung
In meiner Funktion als Personal- und Organisationsentwicklerin habe ich nach meinem Studium unter anderem Führungskräfte, MitarbeiterInnen und Teams bei Veränderungsprozessen begleitet. Ich erkannte, dass auch hier der Kontext und das System eine große Rolle spielen. So gab es häufig Wechselwirkungen zwischen Teams und Abteilungen. Konflikte konnten dabei oft dadurch gelöst werden, diese Wechselwirkungen sichtbar zu machen.
Ich habe außerdem schnell gemerkt, dass die Initiativen und Workshops erst dann wirklich erfolgreich waren, wenn flexibel auf die Teams und Einzelpersonen eingegangen wurde.
Störungen haben Vorrang heißt es so schön. Ich lernte, dass das was hochkam, sei es Gefühle, Konflikte oder Themen, Raum und Zeit in diesen Prozessen benötigen. Diese zu übergehen, nur um sich an eine Agenda zu halten war oft eher hinderlich für den Prozess.
Die Grundeinstellung, dass alle Gefühle und Themen „sein dürfen“ und man mit dem arbeitet, was entweder schon da ist oder was hochkommt hilft dabei, den Fokus auf die Themen zu lenken, die für die betroffenen Personen besonders wichtig sind.
Ich erkannte, dass nicht ich die Expertin bin, sondern die Teams, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie die Führungskräfte selbst. Sie alle sind die Experten bezogen auf ihre Arbeit und ihre Situation. Ich gebe als Prozessbegleiterin lediglich den Rahmen, sodass das Team die Lösungen selbst entwickeln kann, denn ich habe schnell gelernt, dass die Lösung immer im System selbst liegt.