Systemische Fragetechniken und ihre Anwendung

Abschlussarbeit von Miriam Bongers, als PDF lesen


Einführung

Systemische Fragen und Fragetechniken sind das Hauptwerkzeug eines guten Coaches.

Soll der Coachingprozess erfolgreich werden, sollten auch die gestellten Fragen den Coachee zum Nachdenken anregen und nicht sofort beantwortet werden können.

Wichtig dabei ist es, sich in Geduld zu üben und dem Coachee die Zeit zu geben, die er braucht, um zum einen die Wirkung der gestellten Frage nicht zu zerstören und zum anderen den Coachee nicht aus dem Arbeiten an neuen Denkmustern herauszubringen.

Dabei helfen aktives Zuhören, positives Konnotieren und Pacing.

Fragen sind immer auch Interventionen, die im besten Fall zu direktem Umdenken beim Coachee führen, ihn durch Beeinflussung der Wirklichkeitskonstruktion eine andere Perspektive einnehmen lassen und somit richtig ins Arbeiten bringen.

Grundsätzlich gilt, dass wer fragt, nichts von sich preisgibt und dem anderen die Möglichkeit eröffnet unbewertet seine eigenen Erfahrungen, Eindrücke, Gefühle und Bewertungen zu äußern.

Man unterscheidet zwischen geschlossenen, suggestiven und offenen Fragen, wobei man sich im Coachingprozess fast ausschließlich mit offenen Fragetypen beschäftigt.

Die unterschiedlichen Fragetypen werden je nach Autor in unterschiedliche Kategorien unterteilt. Im Folgenden wird sich grob an der Ordnung nach Radatz (2018) orientiert.

Merkmale systemischer Fragen

Systemische Fragen unterscheiden sich in einigen Merkmalen von anderen Fragetypen. Während der Coachee erst nach dem Stellen der Frage die Qualität derer bewerten kann, gibt es einige allgemeine Merkmale systemischer Fragen, die der Coach vorab beachten sollte.

Schon gewöhnliche Fragen können zu einer Ordnung und einem besseren Bewusstisein in Bezug auf das Problems des Gegenübers führen.

Durch systemische Fragen hingegen kann eine Neuordnung beim Coachee entstehen.

Die allgemeinen Merkmale systemischer Fragen im Überblick 1

    1. Systemische Fragen sind offene Fragen.
    2. Systemische Fragen bringen den Kunden zum Denken – anstatt die Neugier des Coaches zu stillen.
    3. Systemische Fragen fokussieren auf das „Innen“ und nicht auf das „Außen“.
    4. Systemische Fragen sind niemals Suggestivfragen.
    5. Systemische Fragen haben nicht den Charakter dem Coach Recht zu geben – sie lassen die Antwort offen.
    6. Systemische Fragen sind häufig Gegenfragen.

Im Gegensatz zu kommunikationsschließenden geschlossenen Fragen, die wir von Kindheit an gelernt haben zu stellen, können offene Fragen nicht einfach mit einem „ja“ oder „nein“ beantwortet werden.

Offene Fragen liefern zudem viel mehr Informationen, regen neue Denkprozesse beim Gegenüber an und helfen dem Gegenüber schneller als geschlossene Fragen.

Offene Fragen beginnen immer mit „W“- Fragewörtern wie:

Wer
Was
Wann
Wo/Wohin
Wofür
Wie
Wem/Wen
Wessen
Inwiefern
Welche
Woran
Bis Wann….

Fragewörter, die nicht im systemischen Fragenkatalog vorkommen sind:

Warum
Wieso
Weshalb

Zum einen fokussieren wir dabei die Vergangenheit, obwohl wir uns auf die Gegenwart und Zukunft konzentrieren wollen. Und zum anderen könnte aufgrund der Orientierung an Schuld und Ursache der Coachee das Gefühl haben sich verteidigen zu müssen.

Um den Coachee zum Nachdenken zu bringen, sollte die gestellte Frage ihn richtig ins Arbeiten bringen.

Dabei kann man zwischen Reporterfragen und Denkfragen unterscheiden. Der Coach erkennt den Fragentyp an der Reaktion des Coachee.

Wenn er sofort auf die Frage antworten kann, war es eine Reporterfrage, die eher die Neugier des Coaches befriedigt als den Coachee in seinem Lösungsprozess weiterzubringen.

Wenn der Coachee lange nachdenken muss, eventuell auch mit einem „keine Ahnung“ antwortet, heißt es geduldig abzuwarten – hier wurde eine Denkfrage gestellt, die die Möglichkeit hat, den Erfahrungsschatz des Klienten zu erweitern, ihn zwingt aus seinen bisherigen Denkprozessen auszubrechen und eine neue Lösung für sein Problem zu finden.

Die Fokussierung der systemischen Frage auf das „Innen“ bedeutet, dass sich der Coach nicht mit einer Beschreibung des ist-Zustandes zufriedengibt, sondern immer nach der Bedeutung dieses Zustandes oder Begriffs konkret für den Coachee fragt.

Wenn der Coachee beispielsweise jemanden als ehrgeizig bezeichnet („Außen“), fragt der Coach, was man in seinen Augen tun muss, um als ehrgeizig zu gelten („Innen“).

Ganz nach dem Inselprinzip sollte der Coach sich immer wieder vor Augen führen, dass die Wirklichkeitskonstruktion und somit auch die Bewertung von Dingen und Begrifflichkeiten interindividuell sind.

Die Aufgabe des Coaches ist es im folgenden Schritt, dem Coachee zu ermöglichen seine Meinung bezüglich der Dinge zu ändern, um seine Probleme zu verstehen und lösen zu können.

Suggestivfragen sollten im Coaching niemals gestellt werden

weil sie den Coachee auf die eigene Seite bringen sollen und somit eine Unterscheidung in „Richtig“ und „Falsch“ in Bezug auf sein Problem suggerieren.

Sie wirken bewusst manipulierend, da sie das Gegenüber zu einer bestimmten Haltung oder Handlung bringen sollen.

Systemische Fragen hingegen wirken zwar auch intervenierend, da man aus konstruktivistischer Sicht nie nichtintervenierend handeln kann, aber in solcher Weise, dass sie die Handlungsoptionen des Coachees erhöhen und keine Richtung vorgeben.

Der Coach muss jede Meinung des Coachee akzeptieren und damit umgehen können, dass die Lösung genau zum Coachee passen muss und nicht zum Coach.

Mögliche Suggestivfragen sind zum Beispiel:

„Fühlen Sie sich da manchmal genauso wie ich, wenn…?“

„Sie werden sich doch nicht etwa gefallen lassen, dass…?“

Ein Coaching sollte immer den Coachee in seinem Anliegen befriedigenund nicht die Hypothesen des Coaches bestätigen.

Aus der konstruktivistischen Weltsicht heraus gehen wir davon aus, dass der Coachee selbstorganisiert denken und handeln kann und sollten ihn nicht mit unseren Hypothesen konfrontieren.

Coaches arbeiten mit der Wirklichkeit des Coachee und sollten ihre eigene Wirklichkeit ausschließlich auf die Lenkung des Prozesses und die Art und Weise Fragen zu stellen eingrenzen. Für die konkreten Fragestellungen heißt dies, dass der Coach die Alternativen des Coachees erhöhen und nicht einschränken sollte durch Fragen wie:

„Präferieren Sie nun den autoritären oder den laissez-faire Erziehungsstil?“
(einschränkend)

„Welche Kriterien müsste der für sie passende Erziehungsstil beinhalten?“
(alternativerhöhend).

Da es im Coaching wichtig ist, den Coachee seine Lösung selbst erarbeiten zu lassen, stellt der Coach auf Fragen häufig Gegenfragen. Durch die in unserem Kulturkreis bestehende Gesellschaftsnorm,

Fragen nicht mit Gegenfragen zu beantworten, können daraus jedoch Antworten des Coachees wie:

“Wenn ich das selbst wüsste, wäre ich ja nicht bei Ihnen…”

resultieren.


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Quellen bis hierher

1Radatz, 2018, S. 168