Abschlussarbeit von Claudia Schmidt, als PDF lesen
Begriffsdefinition
Storytelling bedeutet zunächst einmal „Geschichten erzählen“ und stellt eine Methode dar, Informationen in Form von Geschichten bzw. Metaphern (Sprachbildern) weiterzugeben.
Mit Hilfe dieser Erzählform soll erreicht werden, Botschaften, Daten und Wissen an den Empfänger so zu vermitteln, dass es von diesem bestmöglich aufgenommen und im Gedächtnis verankert wird.
Anwendungsgebiete
Storytelling wird heute vielfältig eingesetzt
U. a. im Bildungsbereich (Kinder- und Erwachsenenbildung), im Journalismus, in der Psychotherapie (s. a. Milton Erickson Hypnotherapie/Arbeiten mit Metaphern, um therapeutische Veränderungen zu initiieren) sowie in Unternehmenskommunikation, dem Wissensmanagement, der Mitarbeiterkommunikation, Marketing, Werbung und PR (Öffentlichkeitsarbeit).
Storytelling in der Unternehmenskommunikation ist eine Methode, Fakten über ein Unternehmen oder ein Produkt gezielt, systematisch geplant und langfristig in Form von Geschichten bzw. Metaphern zu erzählen, um auf wichtige interne und externe Bezugsgruppen zu wirken.1
Ursprünglich stammt diese Methode aus den USA.
Hier beschäftigte sich in den 90er Jahre am MIT (Massachusetts Institute of Technology) eine Gruppe Wissenschaftler, Journalisten und Manager gemeinsam mit der Frage, wie ein Unternehmen seine über die Jahre gesammelten Fakten, Informationen und Lernprozesse so zusammenführen und aufzeichnen kann, dass sie dem gesamten Team zur Verfügung stehen, von diesem verstanden und genutzt werden können.
Schließlich kam man zu dem Ergebnis, dass sich hierfür Geschichten am besten eignen: die Methode „Learning History“ war geboren, eine der bekanntesten Storytelling-Methoden2
Chronik von Geschichten
Geschichten stellen eine Urform der Kommunikation dar und sind so alt wie die Sprache selbst.
Schon in der Steinzeit und zu Beginn der Höhlenmalerei nutzte man Geschichten, um wichtige Informationen und Erfahrungen weiterzugeben. Dies hatte den Zweck, Gefahr zu vermeiden, das Überleben zu sichern und Informationen weiterzugeben, die das Leben erleichtern sollten.
Wie erlege ich einen Bären?
Wie macht man Feuer?
Wo finde ich Schutz bei Gefahren1
Geschichten finden wir in vielerlei Formen, z.B.:
Mythen und die Bibel
Hier finden wir Beispiele für eine wichtige Bedeutung und Wirkung von Geschichten: die Orientierung.
Innere Vorstellungsbilder, die wir unbewusst speichern, ermöglichen uns, in Situationen, in denen wir schnell entscheiden oder handeln sollen, auf diese unmittelbar zurückgreifen zu können3
Sagen, Legenden, Märchen, Fabeln
Sie erzählen von teilweise außergewöhnlichen Menschen, die Inhalte sind oft frei erfunden und beschreiben fabelhafte Begegnungen z. B. zwischen sprechenden Tieren und Menschen.
Urban legends: tragen weiter, was ein guter Freund erzählt hat und dieser wiederum von einem Bekannten.
Unklare Quelle, doch die Geschichten faszinieren, wie z.B. die Spinne in der Yukka-Palme oder das Krokodil im Abwassersystem von New York.
Seit den ersten Höhlenmalereien stellt die Kunst des Geschichtenerzählens eine der wirkungsvollsten Kommunikationstechniken dar.
Warum ist dies so?
Wirkmechanismus des Storytelling
Geschichten wirken unbewusst
Weshalb reagieren Menschen so stark auf Erzählungen?
Der amerikanische Literaturwissenschaftler Jonathan Gottschall würde sagen:
Weil sie gar nicht anders können
Storytelling ist gehirngerechte Kommunikation4. Von klein auf lernen wir die Welt durch Geschichten kennen.
Wir lernen spezielle Muster, z.B. wie das Gute das Böse besiegt, sich Hässliches in Schönes verwandelt, welche Konflikte es gibt und wie diese gelöst werden.
Fernsehserien sind nichts Anderes als in Häppchen verpackte Erzählungen, in den Nachrichten lauschen wir Geschichten von Politikern und Unternehmern. 5
Anhand von Geschichten lernen wir sehr viel mehr als das rein Gesagte.
In späteren Situationen können wir diese unbewussten Muster schnell abrufen und zur Lösung unseres Problems anwenden.
Dies beruht darauf, dass Geschichten diejenigen Areale des Gehirns ansprechen, die für die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen zuständig sind.
Verantwortlich hierfür ist ein bestimmtes Hirnareal, das sog. limbische System, das auch für die emotionale Intelligenz zuständig ist.
Alle in das Gehirn einströmenden Informationen werden in Hinblick darauf bearbeitet, wie emotional wertvoll sie für uns sind. Hierbei haften bleibt alles, was das limbische System negativ oder positiv anrührt.
In diesem Bereich befinden sich die neuronalen Netzwerke, die v. a. Wünsche, Motive, Emotionen des Menschen verarbeiten und in diesem Hirnareal wirken vor allem Geschichten und Bilder.
Auch emotional stark aufgeladene Worte wie z. B. „Tod“ und „Liebe“ und z. B. auch Unternehmen mit einem einzigartigen Erlebnisprofil, d.h. die uns emotional ansprechen, gelangen schnell in das limbische System6.
Aktuelle Forschungsergebnisse bestätigen, dass Entscheidungen in erster Linie emotional getroffen werden, mehr noch, dass sie Voraussetzung für rationale Entscheidungen sind.
Dies bedeutet im Umkehrschluss, wer nicht fühlt, kann auch nicht entscheiden.
– Unser Gehirn reagiert nicht auf Fakten, sondern auf Gefühle
– Geschichten sprechen mehrere Hirnareale an, die Information wird hierdurch intensiver und dauerhaft verankert
– Die bestehenden Fakten und Informationen können verknüpft und aufbereitet werden
95% der einströmenden Informationen verarbeitet das menschliche Gehirn unbewusst, nur 5% bewusst7.
Man spricht in diesem Zusammenhang auch von explizitem und implizitemBewusstsein8:
Implizites System (unbewusst) | Explizites System (bewusst) |
---|---|
verarbeitet viele Informationen parallel | verarbeitet wenige Informationen schrittweise |
sehr schnell | langsam |
Kapazität: 11 Mio. Bit | Kapazität: 40-50 Bi |
Bewusstsein in Hirnregion | bewusst reflektiert |
Informationsverarbeitung in allen Sinneskanälen | vor allem Sprachinformation |
Quelle: Herbst, Storytelling
Unbewusste Informationen werden schneller verarbeitet, weil auf bekannte Muster und Erfahrungen zurückgegriffen werden kann. Dies bedeutet auch:
Je erfahrener ein Mensch, desto schneller kann er Entscheidungen treffen.
Geschichten lösen starke Emotionen aus
Je emotionaler eine Geschichte, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie uns berührt und die Botschaft für uns bedeutend ist und erinnert wird.
Ist eine Information langweilig, wandert sie, wenn überhaupt, in das Kurzzeitgedächtnis (bzw. wird gar nicht gespeichert). Spricht die Botschaft aber emotional an, wird sie mit Erfahrungen verknüpft und im Langzeitgedächtnis verarbeitet.
Der Hirnforscher Manfred Spitzer sagt, Gefühle – gute wie schlechte – sind ein regelrechter Lernturbo9.
Je mehr uns ein Unternehmen anspricht, desto aufnahmefähiger sind wir für seine Botschaften, denn die Informationen werden mit einer Emotion geankert.
Dies ist wesentlich stärker als reine Information.
Geschichten stellen Identifikation/Beteiligung her
Wenn uns eine Geschichte emotional packt und in ihren Bann zieht, wird erreicht, dass wir uns in die Figuren, die Protagonisten hineinversetzen und die Situation oder das Produkt besser verstehen können.
Man weint, lacht, leidet mit.
Verantwortlich hierfür sind sog. Spiegelneuronen, spez. Nervenzellen, mit deren Hilfe wir Empathie entwickeln und die Gefühle anderer nachempfinden (spiegeln) können.
Geschichten werden in inneren Bildern gespeichert
80% der Informationsverarbeitung erfolgt visuell, 60% der Gehirntätigkeit entfällt auf die Verarbeitung und das Speichern von Bildern.
Geschichten entfalten, auch wenn sie schriftlich verfasst sind, eine große visuelle Wirkung, da sie Erfahrungen und Muster in uns ansprechen.
Durch ihre Emotionalität erzeugen und verankern sie innere Bilder in den Köpfen der Empfänger.
Storytelling zeigt Geschichten in Bildern, die bei den Bezugsgruppen Gedächtnisbilder abrufen, innere Bilder, die stark verhaltenswirksam sind.
Geschichten bestehen aus Mustern
Eine der wesentlichen Techniken unseres Gehirns besteht darin, Schlüsselinformationen in Form Mustern zu speichern und bei Bedarf schnell abrufen zu können.
Dies ist in höchstem Maße effizient und verbraucht wenig Energie.
Muster enthalten Schlüsselinformationen, die dahingehend geprüft werden, ob sie uns schon bekannt sind, wir damit Erfahrung gemacht haben und ob diese Erfahrung positiver oder negativer Natur sind (Gefahr oder Wohlbefinden).
Muster erleichtern somit die Arbeit im Gehirn, denn wir müssen nicht alles neu lernen, sondern wir bilden Verknüpfungen, die wir an anderer Stelle leicht abrufen und vergleichen können.
Quellen bis hierher
1 http://www.Welt.de/icon/design/article155995347, Abruf 14.02.2018
2 https://de.wikipedia.org/wiki/storytelling_(Methode), Abruf 20.02.18
3 Herbst, Dieter Georg: Storytelling, 3. Auflage 2014
4 Fuchs, Werner T.: Warum das Gehirn Geschichten liebt, 2. Auflage 2013, München
5 http://www.wiwo.de/erfolg/management/storytelling-manager-muessen-zu-maerchenonkeln-werden/1226765, Abruf 20.02.18
6 Sammer, Petra: Storytelling, Die Zukunft von PR und Marketing, O’Reilly, 1. Auflage 2014
7 Scheier/Held: Wie Werbung wirkt: Erkenntnisse des Neuromarketing, 1. Auflage 2012
8 Herbst, Dieter Georg: Storytelling, 3. Auflage 2014
9 Spitzer, Manfred: Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens, 13. Auflage, 2007