Sterbebegleitung einer Verwandten

Dokumentation eines Coaching Prozesses

Abschlussarbeit von Roger Schmidt, als PDF lesen


Einleitung

Im Folgenden wird das Coaching eines Problems (über 1 Sitzung), welches sich im Rahmen eines bevorstehenden Todesfalles ergeben hat, beschrieben.

Nach der Auftragsklärung und Zieldefinition konnten wir mit dem lösungsfokussierten Coachen beginnen.

Während des gesamten Gesprächsprozesses wurden verschiedene Methodiken gewählt und teilweise vollumfänglich angewendet.

Dabei betrachte ich meine Klientin nach dem systematischen Ansatz als eine Person, die zu Ihrem Anliegen und Problem auch gleichzeitig die eigenen Antworten in sich trägt.

In diesem Gespräch begleite ich meine Klientin, um Ihr beim Erkennen und Reaktivieren ihrer eigenen Ressourcen behilflich zu sein.

Dabei steht im Vordergrund die Suche nach den besten Fragen, auch deshalb um einerseits ihre inneren Stärken bewusst zu machen und andererseits eine mögliche Retraumatisierung unbedingt zu vermeiden.

Kontext

Akquise, Einstieg und Kontakt

Ein Bekannte ist auf mich zugekommen, um sich von mir in Form eines Coachinggesprächs Unterstützung einzuholen.

Sie benötigte auf Grund einer aktuellen familiären Situation umgehend und schnellstmöglich Unterstützung bei einer Entscheidungsfrage. Da ich mit meiner Klientin zu einem früheren Zeitpunkt einige Methoden aus der Coachingausbildung dargestellt habe, hat sie ungefähre Vorstellungen von einem Coachingprozess und bat mich sie in dieser Form zu unterstützen.

Vorab habe ich mir ihr Anliegen kurz schildern lassen und ihr dann die generellen Möglichkeiten, was ein Coaching leisten kann, erläutert.

Ihre Intention ist es unter der für sie schwierigen Situation die Entscheidung zu treffen, mit der sie sich im weiteren Leben möglichst wenige Vorwürfe machen muss.

Information zur Klientin und ihrer Situation

Meine Klientin (MP) ist Anfang 50 verheiratet hat zwei Kinder und ist beruflich selbstständig.

Zudem ist Sie führendes Mitglied in einem eingetragenen Verein und regelmäßig in organisatorischen Aufgaben eingebunden.

Zu Ihren beruflichen und privaten Verpflichtungen betreut MP eine ältere Tante (87 Jahr) seit Ihrem 20. Lebensjahr. Meine Klientin ist die einzige Verwandte und besitzt eine Patientenverfügung. Das Verhältnis ist seit 20 Jahren mal mehr mal weniger angespannt und führte in dieser Zeit zu einer zweijährigen Kontaktpause. In den letzten 2 Jahren sind die Gespräche zwischen MP und ihrer Tante sehr anstrengend, da sich der geistige Zustand der Tante verschlechtert hatte. Ihre Verwandte ist in einem Altenheim untergebracht.

Die Klienten erfuhr von der Heimleitung, dass ein Großteil der Personen nach Weihnachten, darunter auch ihre Tante, an Covid 19 erkrankt waren.

Die Heimleitung ging davon aus, das die Tante vermutlich diese Krankheit in den nächsten Tagen nicht überleben wird.

In den letzten Jahren hat ihre Tante vermutlich auch auf Grund ihres körperlichen und geistigen Zustandes mit „üble Nachrede“ Dritten gegenüber (Besuchern und Heimpersonal) die Beziehung zu meiner Klientin sehr belastet.

Bei ihrem letzten Besuch (Weihnachten 2020) konnte meine Klienten sich erstmals teilweise mit ihrer Tante aussprechen.

Da ihre Tante im Sterben lag, wurde ihr von der Heimleitung das Angebot unterbreitet, sich nochmals von dieser zu verabschieden.

Ich war mir dennoch bewusst, dass ich vor Beginn eines Coachinggespräches ihr die Vorgehensweise nochmals erläutern musste, um zu vermeiden, dass sie noch stärker in einen nahezu außerordentlichen Zustand versetzt wird.

Systemischer Prozess / Coaching Sitzung

1 Sitzung

Bevor wir mit der Auftragsklärung begannen schilderte ich Ihr meine Vorgehensweise.

Mir war wichtig nochmals zu verdeutlichen, dass ich Sie nicht beraten werde oder ihre Lösungsmöglichkeiten nennen würde, sondern sie beim kommunikativen Austausch begleiten möchte, so dass sie sich ihrer eigenen Ressourcen zur Bewältigung des Problems bewusst würde.

Auf meine Frage hin, ob sie damit einverstanden ist und was sie sich noch wüschen würde, antwortete sie mit Kopfnicken und gab mir zu verstehen, dass sie sich in dieser Sitzung sicher fühlen möchte.

Damit meinte sie bestimmte Fragen, die sie eventuell nicht beantworten möchte.

Wir verständigten uns darauf, dies mit einem klaren „Hand nach oben“ Zeichen zu signalisieren.

Situationsanalyse, Auftragsklärung und Zieldefinition

Thema: Sterbebegleitung einer Verwandten

MP schildert kurz den Konflikt mit ihrer Tante und vor welcher Entscheidung sie in der aktuellen Situation steht.

Ihre Tante hat bis jetzt die Lebensleistungen von MP weder gewürdigt noch anerkannt. Sie hat weder die Besuche noch die bis dahin erbracht Führsorge honoriert. Im Wesentlichen begegnet die Tante meiner Klientin mit dem Vorwurf, MP würde sich nicht um sie und „wesentliche Dinge“ im Leben kümmern.

MP fühlt sich ständig missverstanden, herabgesetzt und nicht geliebt. Sie wirkt dabei sehr traurig und frustriert und wurde dann aber sehr wütend als sie dies nochmals wiederholte.

Ich fragte nach einer konkreten Situation um die Begegnungen mit ihr und der Tante näher einschätzen zu können.

Sie nannte mir aus der Vergangenheit ein Beispiel.

Beim Besuch bei ihrer Tante zusammen mit Ihrer Mutter. Das Procedere wäre wie beschrieben immer das gleiche. Verhaltene, weniger herzliche, Begrüßung.
Dann beginnen schon die ersten Vorwürfe seitens der Tante z.B. „kommst du auch mal“ gefolgt von weiteren Beschuldigungen und Unterstellungen.
Fast immer waren es die ersten 10 – 30 Minuten, die sie als sehr nervend bis unerträglich empfunden hatte.

Ich frage nach ihrem Gefühl.

Gibt es vielleicht dafür ein Bild oder Metapher, der diese Emotion repräsentieren könnte. Sie fühle sich bei Ihrer Tante „so klein mit Hut“ und zeigt mit ihrem Zeigefinger und Damen einen minimalen Abstand.

alamy stock photo (von MP herausgesucht)

Meine Klientin schildert mir, dass sie jetzt vor der Entscheidung steht noch einmal zur Tante hinzufahren, um sich eventuell zu verabschieden. Allerdings sagt ihre innere Stimme, dass dies eigentlich nach ihrem geschildertem Gefühlszustand nicht geht.

Ich wende die Skalierungsfrage an, um noch konkreter dieses Empfinden einordnen zu können.

Dabei wählte sie die „2“ auf einer Skala von 0 bis 10

„10“ steht für „ich fühle mich toll und bin voll motiviert“
und
„0“ steht für „ich fühle mich ganz schlecht und bin handlungsunfähig, wie gelähmt

Meine Frage, was sie am Ende des heutigen Coachings erreicht haben möchte, war sie noch nicht entschieden genug.

Die Frage nach dem Fahren zur Tante bei der unklaren Infektionslage im Heim (großer Teil der Bewohner sind Covid-19 infiziert) sowie dem momentanen Gefühlszustand gegenüber ihrem schlechten Gewissen einen letzten Besuch mit möglicher versöhnlicher Verabschiedung nicht gewählt zu haben, hindert sie noch zwischen den beiden Wegen zu wählen.


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