Spiritualität im Coaching

Wie kann Spiritualität nicht nur dem Klienten,
sondern auch dem Coach weiterhelfen?

Abschlussarbeit von Sinan Alver, als PDF lesen


Einleitung

Spiritualität im eigenen Leben wurde oft mit Religion oder etwas unnahbar Göttlichem verbunden.

Dadurch konnten viele Menschen keinen Bezug zur wahren Spiritualität herstellen. Durch Einflüsse aus der Philosophie, anderen Religionen und neuesten Studien erfuhr die Spiritualität einen bedeutenderen und gesellschaftlich anerkannteren Einfluss im Leben der Menschen.

Coaching bietet Menschen eine Hilfestellung für Fragen, die sie aus eigener Kraft nicht beantworten können.

Sie suchen im Coach einen Begleiter und Impulsgeber für eigene Anliegen. Dabei kann der Coach durch seine Erfahrung und sein Repertoire viele unterschiedliche und womöglich dem Klienten noch unbewusste Ressourcen und Anteile aufzeigen.

Nun stellt sich die Frage, ob Spiritualität im Coaching eine Rolle einnehmen kann.

Und wenn ja, wie kann es dem Klienten aber auch dem Coach im Rahmen eines Coachings weiterhelfen?

Diese Arbeit beschäftigt sich unter anderem mit dieser Frage.

Es soll aufgezeigt werden, wie Spiritualität und Coaching in Einklang gebracht werden können und wie Spiritualität im Alltag eines Klienten und eines Coachs gelebt werden können.

Im ersten Kapitel wird der Begriff der Spiritualität untersucht. Dabei werden verschiedene Perspektiven aufgezeigt und die Basis der Spiritualität für die Fortsetzung der Arbeit definiert.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Verankerung der Spiritualität innerhalb des Coachings, um im darauffolgenden Abschnitt den Blickwinkel auf die Anwendung innerhalb des systemischen Coachings zu fokussieren.

Anschließend gibt es einen Exkurs in das hypnosystemische Coaching, da dieser Ansatz viele Methoden enthält, die auf das Unbewusste abzielen und somit die eigene Spiritualität fördern können.

Der Schlussteil fasst die Ergebnisse zusammen und zeigt auf, wie Spiritualität vor allem im Coaching aber auch im täglichen Leben eine erkenntnisreiche Rolle einnehmen kann.

Was bedeutet Spiritualität?

Gemäß dem Brockhaus wird Spiritualität definiert als

die geistig-geistliche Orientierung und Lebenspraxis eines Menschen; im christlichen Verständnis oft gleichbedeutend mit Frömmigkeit.1

Laut Duden bedeutet geistlich „die Religion, den kirchlichen und gottesdienstlichen Bereich betreffend“.2

Somit wird der Kontext zur Religiosität und zum Glauben deutlich.

Allerdings wird Spiritualität auch als Lebenspraxis definiert. Dies bedeutet, dass der Mensch seine Spiritualität auf eine bestimmte Art und Weise ausübt und es keinen Zustand meint.

Das Lexikon der Psychologie nach Dorsch hat die Definition der Spiritualität weiter entwickelt. Das Wort „spiritualis“ bedeutet „zum Geist gehörend, geistlich“, jedoch geht das Lexikon weiter und bezieht neuere Entwicklungen mit ein.

Darin beschreibt es die Spiritualität als Erfahrungen, die ein Mensch in seinem Leben macht und über die eigene Individualität hinausgehen. Hierin sieht man den Bezug zu etwas Größerem.

In der heutigen Zeit, so das Lexikon, bedeutet der Begriff die Ausrichtung eines Individuums auf eine über die eigenen unmittelbaren

Bedürfnisse hinausreichende Wirklichkeit jenseits von traditioneller Religion.3

Hieraus wird deutlich, dass der Bezug zu Göttlichem und Religiösem nicht mehr nur die einzige Rolle spielt, sondern der Mensch im Zentrum seiner eigenen Spiritualität steht.

Spiritualität kann man auch aus der Perspektive der Verbundenheit betrachten.

Der britische Psychotherapeut Bill O‘Hanlon spricht in diesem Sinne von den drei C‘s der Spiritualität:

Connection
(sich mit anderen oder etwas Höherem verbunden fühlen),

Compassion
(Mitleid und Liebe mit anderen haben) und

Contribution
(etwas Gutes für andere und die Welt tun)“4

Der Psychologe Anton A. Bucher präzisiert Spiritualität ebenfalls im Bereich der Verbundenheit. Er bezieht die Spiritualität auf eine vertikale und horizontale Ausrichtung.

Die vertikale Ausrichtung bedeutet die Verbundenheit mit etwas, das größer und stärker ist als der Mensch.

Die horizontale Ausrichtung hingegen bezieht sich auf die Natur und die soziale Mitwelt der Menschen.5

Dies verdeutlicht die Weiterentwicklung der Spiritualität im philosophischen Sinne und zeigt auf, dass der spirituelle Mensch seinen Bezug zu etwas Höherem oder seinen Mitmenschen sucht.

Der 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, äußerte sich zu dem Thema so:

Bei der Spiritualität geht es um jene Qualitäten menschlicher Gesinnung – wie Liebe und Mitgefühl, Geduld, Toleranz, Vergebung, Zufriedenheit, Verantwortungsgefühl, Harmoniestreben – die einen selbst und andere glücklich machen.

und weiter:

„Deswegen sage ich bisweilen, dass wir möglicherweise ohne die Religion auskommen können, aber auf keinen Fall ohne diese grundlegenden spirituellen Eigenschaften.6

Somit sieht er den Mensch als Zentrum seiner eigenen Spiritualität.

Erst durch die Anwendung der besonderen Eigenschaften kann man Spiritualität erlangen. Dabei verweist er auch auf die wechselseitige spirituelle Wirkung im gesellschaftlichen Kontext.

Darüber hinaus geht es auch um die Frage, wie man das eigene Ich so erweitern kann, dass man nicht nur einen Zugang zum Inneren erhält, sondern auch eine künstliche Trennung zum größeren Zusammenhang schafft.

Für den Alltag kann diese Trennung sehr hilfreich für den Einzelnen sein, um die bewusste Abgrenzung schaffen zu können.

Denn im Zentrum der Spiritualität steht zu jeder Zeit und erst einmal der Mensch selbst.

Allerdings muss die Balance zwischen der Abgrenzung und die gleichzeitige Wechselwirkung mit dem äußeren Umfeld bzw. dem größeren Zusammenhang in einem gesunden Maß stattfinden. Andernfalls können innere oder äußere Konflikte als mögliche Konsequenzen entstehen. (Die spirituelle Dimension in Coaching und Beratung, S. 248)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Spiritualität zwar ihren Ursprung in der Religion, doch in den letzten Jahren einen neuen Kontext erfahren hat.

Es ist bezogen auf die Taten und Erfahrungen eines Menschen, die aus dem inneren Geist resultieren.

Im Alltag zeigt sich oft, aus welchem Geist heraus man handelt und dies ist ein Zeichen dafür, wie sehr Menschen mit sich selbst verbunden sind. Dabei können sich Menschen fragen, warum sie gewisse Handlungen an den Tag legen, um ihre eigene Spiritualität zu erkunden.

Je bewusster und verbundener sie mit ihrer Natur und ihrem eigenen Wesen umgehen, desto mehr Klarheit finden sie.

Denn spirituell sein bedeutet nicht, sich täglich die Sinn- und Erleuchtungsfrage zu stellen, sondern in Einklang mit seinem Inneren zu kommen und größere Verbundenheit mit sich selbst und seiner Umwelt zu erfahren.

Wie findet Spiritualität im Coaching ihren Platz?

Spiritualität spielt eine immer wichtigere Rolle im Leben.

In einer repräsentativen Studie im Jahr 2011 gaben 40 % der Bevölkerung an, dass spirituelle Themen bereits eine große Rolle in ihrem Alltag einnahmen. Dies verdeutlicht die Ausweitung der Spiritualität im gesellschaftlichen Kontext.7

Wurde früher noch Spiritualität als zu religiös betrachtet, findet sie besonders im Coaching immer mehr ihren Einsatz.

Wissenschaftler und Coaches erkannten, dass der spirituelle Ansatz wie die Verbundenheit oder die gelegentliche Sinnfrage eines Einzelnen auch im professionellen Coaching seine Daseinsberechtigung hat.

Dabei geht es weder um die „Erleuchtung“ noch um die unreflektierte Abwehr religiöser und spiritueller Bedürfnisse eines Hilfesuchenden. Vielmehr geht es um die ethisch-moralische Orientierung und dessen Bedarf in einer sich schnell verändernden Welt, in der man auf der Suche nach Zugehörigkeit ist.

Menschen verfolgen unter anderem Selbstbestimmung und Geborgenheit in stabilen sozialen Beziehungen. Hierbei treten spirituelle Wünsche zum Vorschein, die im Rahmen eines Coachings zum Thema werden können8

Ein Coachee allein kann nur bedingt die bislang ungenutzten inneren Ressourcen und Energien durch den eigenen Willen in das Bewusstsein fördern. Es bedarf der Reflexion, um seine Handlungen von seinen Reaktionen abzugrenzen.

Wenn man die eigenen Reaktionen gut beherrscht, kann man das Verhalten im Außen aber auch die eigenen Emotionen besser regulieren.

Zu der bewussten Handlung gehört auch die Wirksamkeit, ansonsten hat die Handlung keinen Sinn. Dabei hilft der Coach, diese Wirksamkeit der Handlungen dem Coachee bewusst zu machen. Somit entsteht ein höheres Bewusstsein für die Auswirkungen des eigenen Handelns.9

Findet Coaching ohne spirituellen Hintergrund statt, kann es dazu kommen, dass Sinn- und Wertefragen außer Acht gelassen werden. Diese hingegen können dem Klienten eine bessere Orientierung für das eigene Leben darstellen und dadurch das Repertoire des Coaches erweitern.

Abschließend lässt sich sagen, dass Spiritualität Teil des Coachings werden kann, wenn der Klient über das eigene Ich, das eigene Ego und mit der Identifikation von gewohnten Glaubenssätzen und Rollenmustern hinauswächst.

Der Coach kann mit einer einfühlsamen aber bewusst abgrenzenden Haltung dem Klienten dabei helfen, ein größeres Verständnis für seine inneren Antreiber und seine Umwelt zu erlangen.10


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Quellen bis hierher

1 Brockhaus-Online (2021)
2 Duden-Online (2021)
3 Dorsch, Lexikon der Psychologie (2021)
4 Vgl.: Sohr, Sven (2019): Zwischen Himmel und Erde, S. 11.
5 Vgl.: Winter, Bernd (2012)
6 Vgl.: Dalai Lama (2002). Goldene Worte des Glücks. Köln: Lübbe, S. 12 f.
7 Identity Foundation (2011)
8 Vgl.: Utsch, Michael (2015)
9 Vgl.: Hanstein, Thomas (2020)
10 Vgl.: Hänsel, Markus (2012): Die spirituelle Dimension in Coaching und Beratung, S. 39 f.