Persönlichkeitsentwicklung – Was hat das alles mit mir zu tun?

Meine Erfahrungen und Erlebnisse auf dem Weg der Persönlichkeitsentwicklung.

Abschlussarbeit von Leonie_Höhl, als PDF lesen


1. Bewertungen, Erfahrungen, Selbstreflektion:

Ich möchte Dich ein wenig mitnehmen auf meinem Weg zu Weiterentwicklung meiner Persönlichkeit. Dazu möchte ich Dir in dieser Hausarbeit meine Eindrücke, Erlebnisse und Schlussfolgerungen meines Entwicklungsweges vorstellen. Was für mich wichtig war und noch ist und welche Bereiche dazu, meiner Meinung nach, genauer beleuchtet werden sollten.

Zuerst würde ich gerne meine Erfahrungen im Bereich „Bewertungen“ mit Dir teilen.

Bereits als Kind in jungen Jahren habe ich mitbekommen, wie Menschen über andere Menschen sprechen, über sie urteilen und deren Verhalten oder sie ganz als Mensch bewerten. Es spielt keine Rolle, ob sie diesen Menschen sehr gut kennen oder nur einmaligen kurzen Kontakt hatten. Ganz schnell passiert es, dass andere Menschen bewertet und in Schubladen gesteckt werden und deren Handeln verurteilt und negativ bewertet wird, ohne jeglichen Hintergrund bzw. den zuvor stattgefundenen Ablauf zu kennen.


Ein kleines Beispiel dazu:

Ich saß mit zwei Freundinnen im Garten. Meine zwei Kinder und das Kind meiner Freundin, welches wir an diesem Tag kennenlernten, eckten ständig an. Das Kind nahm meinen Kindern das Spielzeug weg oder „ärgerte“ sie, indem es ständig beim Spielen die Wasserschüsseln meiner Kinder ausschüttete, mit denen sie gerade spielten.

Meine Kinder waren davon genervt und traurig und haben immer mehr die Lust daran verloren, sich mit dem Kind zu beschäftigen. Für mich wurde es zunehmend anstrengend. Ganz schnell gingen folgende Dinge in meinem Kopf vor:

„Das Kind bekommt viel zu wenig Grenzen gesetzt. Seine Mutter sollte mal härter durchgreifen und dem Kind zu verstehen geben, dass das so nicht geht. Meine Kinder leiden darunter, mich nervt es und unterhalten können wir uns auch nicht wie gewünscht. Man merkt, dass das Kind kaum Kontakt zu anderen Kindern hat und Einzelkind (verwöhnt) ist.“

Ich habe durch diese Gedanken in diesem Moment auf die Mutter und das Kind herabgeschaut, mich auf einen Podest gestellt und gleichzeitig erwartet, dass sich die Mutter jetzt um all meine Anliegen kümmern müsse. Denn es ist ja ihr Kind…

Heute frage ich mich:

“Was hatte das alles mit mir zu tun?“

  • Wieso habe ich selbst keine Grenze für mich und meine Kinder gezogen?
  • Wieso habe ich dem Kind nicht vermittelt, dass es nicht schön ist, was es tut und versucht eine Lösung zu finden, z.B. indem es meine Kinder alleine spielen lässt oder wieso habe ich die Mutter nicht einfach freundlich auf die Situation aufmerksam gemacht, damit sie die Möglichkeit hat, sich der Situation anzunehmen?
  • Wäre diesbezüglich keine Offenheit möglich gewesen, hätte ich doch gehen können und mir mit den Kindern woanders einen schönen Tag machen können?!

Gleichzeitig habe ich meine Freundin und ihre Erziehung in Frage gestellt und Schlussfolgerungen gezogen, ohne den Hintergrund genau zu kennen oder mit ihr das Gespräch zu suchen. Ich habe von ihr im Stillen erwartet, dass sie ihrem Kind eine Grenze setzt, damit es mir und den Kindern gut geht.

Ich selbst habe in dem Moment also die völlige Verantwortung für unser Wohlergehen an meine Freundin abgegeben, ohne es offen zu kommunizieren. Immer öfter habe ich mich selbst dabei erwischt und bin auch heute mit Sicherheit nicht völlig wertfrei.

Doch mittlerweile stelle ich mir in solchen Situationen die Frage:

“Was hat das alles mit mir zu tun?“

Mit Empathie wäre mir womöglich aufgefallen, dass die Situation auch folgenden Hintergrund gehabt haben könnte:

Vielleicht hatte meine Freundin eine sehr anstrengende Zeit hinter sich, war total erschöpft und einfach nur froh, sich nach langer Zeit des Wiedersehens mal wieder mit uns zu unterhalten. Dabei hat sie vermutlich alles um sich herum ausgeblendet und gar nicht bewusst mitbekommen, was sich bei den Kindern abspielt. Ihr Kind war eventuell einfach nicht gut drauf an diesem Tag, hat sich in letzter Zeit nicht gesehen gefühlt und brauchte in diesem Moment etwas mehr Aufmerksamkeit?!

Das wäre eine mögliche Theorie.

Jetzt, wo ich die Situation reflektiere und bewusst anders beleuchte, fällt mir auf, dass ich diesen Zustand mehr als gut auch selbst kenne. Sehr oft gab es ähnliche Momente auch in meinem Leben, nur eben in der „erschöpften und unbewussten“- Rolle.


Hierzu ein Beispiel:

Ich sitze nach einem anstrengenden Tag mit meinen Kindern beim Essen und muss dringend in diesem Moment noch einiges für die nächste Woche planen. Während meine Kinder essen, sehen sie ihre Mama, wie sie vor dem Handy, mit Wochenplaner und in völliger Abwesenheit, vor ihnen sitzt. Sie fragen mich Dinge und sprechen mich bewusst an. Ich nehme mit einem halben Ohr etwas war. Manchmal reagiere ich unbewusst gar nicht oder antworte halbherzig und gezwungenermaßen, damit ich wieder konzentriert weiter machen kann. Dann fangen die Kinder an zu streiten und benehmen sich „daneben“, was mich natürlich nervt und ich dann mit ihnen schimpfe.

Jemand Außenstehendes könnte das Szenario vermutlich folgendermaßen verurteilen:

„Die armen Kinder werden nicht beachtet, sie sitzt an ihrem Handy und interessiert sich nicht für Ihre Kinder. Traurig, eine Mama zu haben, die selbst beim gemeinsamen Essen nur am Handy hängt. Vermutlich ist sie in Instagram, spielt Spiele oder schaut sich irgendwelche Storys an… Alles wichtiger als die eigenen Kinder, hoffentlich beachtet der Vater sie wenigstens etwas mehr.“

Was in dem Moment in mir vorging, war folgendes:

„Puh, wie soll ich diese ganzen Termine, den Haushalt, die Einkäufe und meine Arbeit unter einen Hut bekommen? Ach und mein Sohn wollte sich ja unbedingt mal mit X treffen, daran muss ich noch denken. Am Montag nach der Arbeit hat meine Tochter Turnen und die Sommerreifen muss ich nächste Woche auch noch montieren lassen. Dann muss ich da mal noch schnell anrufen. Den Kindergartenausflug und das Gemüse für das Frühstück im Kindergarten darf ich nicht vergessen… Achso, und eigentlich wollte ich mich mal mit meiner Freundin zu einem gemeinsamen Spaziergang treffen. Mist! Das wird zu eng. Dann halt nächste Woche. Die Papiermülltonne muss ich gleich noch schnell rausstellen…puh… zu zweit wäre das alles viel einfacher. (einen verantwortungsbewussten Vater, der die Kinder „beachtet“, gab es bisher leider nicht).

Die außenstehende Person, welche meine Situation nicht kennt, urteilt in diesen Moment, ohne zu wissen, was in mir und in unserem Leben vorgeht. Während Sie sich zusammenreimt, dass ich keine Zeit und kein Interesse für meine Kinder habe, weiß Sie nicht, dass ich in meinen Gedanken zur gleichen Zeit unseren Wochenablauf plane, dabei berücksichtige, was meine Kinder sich gewünscht haben und dass ich alles daransetze, dies zu ermöglichen. Das ich meine „freie Zeit für mich“ nach hinten schiebe und ich in diesem Moment nicht an meinem Handy „spiele“.

Außerdem weiß Sie nicht, dass ich mit allem völlig allein auf mich gestellt bin und es nun mal keinen Vater gibt, der für meine Kinder da ist.

Gleichzeitig kann ich durch das bewusste Reflektieren meiner eigenen Situation empathischer und wertfreier damit umgehen, wenn ich Szenarien bei anderen beobachte.

Anhand dieser Beispiele möchte ich Euch gerne das Inselmodell von Vera Birkenbihl vorstellen.

Das Inselmodell hat mir nochmal ganz bewusst verdeutlicht, wie unterschiedlich jeder einzelne Mensch sich entwickeln kann und wie wichtig es ist, zu verstehen, dass jeder einen nachvollziehbaren Grund dafür hat, welche Glaubenssätze, Weltanschauung, Werte etc. ein Mensch entwickelt.

Dieses Verständnis sorgt dafür, dass ich viel besser mit entgegengesetzten Meinungen und Werten umgehen kann und den Menschen so sein lassen kann, wie er nun mal, ist, ohne ihn verurteilen oder abzuwerten zu müssen.

2. Das Inselmodell – Vera Birkenbihl:

Nehmen wir an, jeder Mensch hat seine eigene Insel.

Diese Insel ist geprägt von der Erziehung, der jeweiligen Kultur, den persönlichen Gewohnheiten, Meinungen und Vorstellungen. Also all das, was wir als „normal“ ansehen.

Dazu kommen die Erfahrungen, die wir sammeln, Erinnerungen und die Erziehung, welche unsere Gedanken und Gefühle beeinflussen und uns zu dem Menschen formen, der wir jetzt sind.

Treffen zwei Menschen (2 Inseln) aufeinander und beginnen zu kommunizieren, kann es zu einem angenehmen oder unangenehmen Aufeinandertreffen kommen. Umso mehr sich die Inseln (also die Meinungen, Vorstellungen, Erfahrungen etc.) beider Personen ähneln, desto sympathischer sind sie sich und die Kommunikation verläuft leicht und angenehm. Die Inseln überschneiden sich also.

Ist das Gegenteil der Fall und die Inseln (Meinungen, Vorstellungen, Erfahrungen etc.) überschneiden sich nicht, so verläuft die Kommunikation eher schwierig und aneinander vorbei, wodurch Distanz erzeugt wird. Einigungen stellen sich somit nur gering oder sogar gar nicht ein. In manchen Fällen wird der Kontakt zur anderen Person dadurch sogar komplett vermieden, was z.B. im beruflichen Alltag nicht immer geeignet ist.

Zitat: „Optimaler kommunikativer Umgang nach dem Inselmodell Vera Birkenbihl“

Wenn das Interesse oder die Notwendigkeit besteht, zwei Inseln miteinander zu verbinden, ist es nach Vera Birkenbihl eine Lösung, zwischen beiden Inseln eine „Brücke“ zu schlagen, an der Stelle, wo sich Einigkeit finden lässt.

Wichtig dabei ist, dass ein beidseitiger gegenseitiger Respekt für die unterschiedlichen Dinge beider Personen aufgebracht wird.

Sollte wirklich keinerlei Einigung gelingen, so sollte zumindest eine Einigkeit beider Personen, über die „nicht funktionierende Einigung“ zustande kommen und Verständnis dafür vorhanden sein.

Anders gesagt, sieht eine professionelle Haltung von den Kommunikatoren folgendermaßen aus:

  • Es besteht Einigkeit und Akzeptanz darüber, dass jedes Individuum auf verschiedenen Inseln wohnt und es dort ganz unterschiedliche Welten gibt.
  • Wir machen uns klar, dass Individuum A sehr wohl das Recht hat, seine eigene Insel genauso legitim zu finden wie Individuum B seine ganz andere eigene Insel. Auch muss akzeptiert werden, dass die Regeln, Normen und Werte, die auf den verschiedenen Inseln ganz unterschiedlich ausgeprägt sind, nicht von allen Individuen verstanden werden können.1

Bei Einhaltung dieser Punkte kann ein Gespräch im Alltag mit deutlich weniger Konflikt, Abweisung und Verurteilung stattfinden.

Wenn Ihr Euch das Inselmodell vereinfacht und bildlich zu Gemüte führen wollt, dann empfehle ich Euch wärmstens das Video dazu.2

Um mich selbst zu reflektieren, hilft mir das offene und ehrliche Gespräch mit anderen Menschen. Ich schätze es sehr, wenn man mir auf eine direkte, freundliche Art mitteilt, was demjenigen aus der Erzählung auffällt, was mir eventuell gar nicht bewusst ist. Mich also auf einen „blinden Fleck“ aufmerksam macht.

Im Gespräch und in der Erzählung mit anderen wird mir meist etwas bewusst oder bewusst gemacht, was ich zuvor gar nicht wahrgenommen habe.

In meiner aktuellen Ausbildung zum „systemischen Coach“ bei Inkonstellation wurde das JohariFenster vorgestellt, welches mich direkt sehr angesprochen hat, denn dadurch wurde ein Bild für mich vervollständigt, was zuvor nur in vereinzelten Puzzlestücken greifbar war.

Nun kann ich mit mehr System und Einblick in das Thema an meiner Entwicklung feilen. Gerne möchte ich das Johari Fenster kurz vorstellen.

3. Das Johari Fenster von Joseph Luft und Harry Ingham3

Das Johari Fenster bezieht sich auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung.

Oft denken wir, dass wir alles über uns selbst wissen und somit ein vollständiges Selbstbild haben. Mit Sicherheit gibt es viele Menschen unter uns, die ein sehr gutes Selbstbild von sich haben. Dennoch nehmen wir nicht alles wahr. Unser engerer Umkreis, Freunde und die Familie, können von außen unbewusste Verhaltensweisen, Persönlichkeitsmerkmale und Eigenschaften wahrnehmen, die uns nicht bewusst sind.

Im Johari Fenster wird anschaulich gegenübergestellt, wie diese unterschiedliche Selbst- und Fremdwahrnehmung in vier Bereichen aussieht.

Ziel des Johari Fensters ist es, die Selbst- und Fremdwahrnehmung zu veranschaulichen. Das Johari Fenster könne, Zitat von Joseph Luft „den gemeinsamen Handlungsspielraum transparenter und weiter gestalten“.

Zum Einsatz kommt das Johari Fenster, um Gruppen oder Unternehmen bei Kommunikationsproblemen zu unterstützen, kann aber natürlich auch für sich persönlich genutzt werden.

In der ursprünglichen Anwendung bekommen alle Beteiligten eine vorgefertigte Liste mit 56 Begriffen, die eine Person beschreiben können, wie z.B.: akzeptierend, anpassungsfähig, aufmerksam, witzig, würdevoll.

Aus dieser Liste wählen die Teilnehmer die für sich passenden Begriffe heraus.

Danach bekommen sie eine weitere Liste, um den oder die anderen Teilnehmer mit den Begriffen zu beschreiben. Durch die darauffolgende Einteilung in die vier verschiedenen Bereiche des Johari Fensters entsteht die Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdbild.


 

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Quellen bis hierhin:
1 vgl. https://muk-blog.de/fachwissen/inselmodell-vera-birkenbihl/ Abruf 09.05.23 Norine Palme 13.05.2016
2 vgl. https://youtu.be/B-lTgdup2pk Abruf 07.07.23
3 vgl. https://karrierebibel.de/johari-fenster/ Abruf 07.07.23 Jochen Mai aktualisiert 23.12.21