Abschlussarbeit von Sebastian Schäfer, als PDF lesen
Einleitung
Mein Name ist Sebastian Schäfer und ich arbeite in Festanstellung in einem mittelständigen Unternehmen als Agiler Coach.
Trotz der Berufsbezeichnung „Coach“ und eines (wie ich glaube) intuitivem Talents anderen Menschen dabei zu helfen Lösungen für ihre Probleme zu finden, hat mir doch etwas gefehlt.
So hat die Ausbildung zum Systemischen Coach nicht nur mich selbst als Mensch weiterentwickelt, sondern ich habe das Handwerk für meine Tätigkeit im Unternehmen erlernt.
Fragetechniken, welche ich vorher bestenfalls zufällig eingesetzt habe, und Themen wie „Haltung“ und „lösungsfokussiertes Coaching“ sind Techniken und ein Mindset, welche mir konkret im Arbeitsalltag helfen.
Besonderen Gefallen habe ich an der Anwendung des „narrativen Ansatzes“ gefunden, welcher auch hier Teil meiner Arbeit sein soll.
Als ich zum ersten Mal vom narrativem Ansatz hörte, kam mir direkt eine Idee wie man diese Technik auf ganze Teams anwenden könnte. Ich habe den festen Glauben, dass es solch identitätsstiftende Geschichten (Narrationen) nicht nur bei einzelnen Individuen, sondern auch in sozialen Gruppen, sei es nun ein Team, ein Unternehmen oder auch die Gesellschaft eines Landes gibt. Ich schreibe diese Zeilen mitten in der 3. Welle der Corona-Pandemie:
Ich mutmaße das dieses Ereignis in Geschichten weitererzählt werden wird und einen bleibenden Eindruck, nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern auch in fast jedem von der Pandemie betroffenen Unternehmen hinterlassen wird.
Theorie „Narrativer Ansatz“
Beim Narrativen Ansatz gibt es zwei Varianten
Die Variante der wiederkehrenden Geschichten, basiert auf der Vorstellung, dass jedes Individuum oder soziale Gruppe wiederkehrende Geschichten(Narrationen) hat, welche immer wieder auf eine bestimmte Art und Weise erzählt werden (Narrativität).
Der Inhalt und die Erzählweise der Geschichte, also Reihenfolge, Fokus, Pointe beinhalten bzw. offenbaren die
• Überzeugungen
• Werte
• Weltsicht
der/des Erzählenden und tragen damit maßgeblich zu dessen Selbstwahrnehmung und somit auch Identität bei.
Ein typisches Beispiel sind Geschichten von Familienfesten, welche bei jedem Zusammentreffen der Familie erneut erzählt werden und so aktiv zur Zusammenhalt der Gemeinschaft beitragen. Dabei werden auch die gemeinsamen (meist unausgesprochenen) Werte der Familie „hoch gehalten“, Beziehungen zwischen einzelnen Familienmitgliedern „dokumentiert“ und die gemeinsame Weltsicht der Familie „gezeichnet“, z.B. die Beziehung zu äußeren Autoritäten wie den Staat, Polizei, Schulen etc.
Im Gegensatz dazu gibt es die Möglichkeit eine gerade aktuelle Begebenheit durch den Klienten als neue Geschichte erzählen zu lassen. Dies erfordert etwas Geduld, da der Klient die Geschichte während des Erzählens erst ordnen muss.
Ziel beider Varianten ist:
• Unbewusstes bewusst zu machen
• Sich selbst besser verstehen indem man Verhaltensmuster erkennt
• Optional: eine Musterunterbrechung beim Klienten herauszuarbeiten
Der „Akt des Erzählens“ hat zudem oft an sich schon eine heilsame Wirkung (als eine Art Emotional Clearing).
Vielleicht ist es nun wichtig den Begriff „Geschichte“ einmal zu definieren.
Frei nach Aristoteles „Poetik“ hat eine Geschichte einen Anfang, eine Mitte und ein Ende.
Die Hauptfigur (der Protagonist) erlebt die Geschichte (und ist im Coaching meist der Erzähler/Klient selbst). In der Mitte der Geschichte gibt es zumeist ein Ereignis, welches der Grund für eine veränderte Situation am Ende der Geschichte ist.
Die meisten Geschichten haben zudem eine Botschaft oder Moral.
Während der Durchführung der narrativen Methode ist vom Coach einiges zu beachten:
• Wichtig ist während des Erzählens durch den Klienten echtes „Aktives Zuhören“, d.h. das zwischenmenschlich Übliche „einhaken“ in die Erzählung des anderen um z.B. eine eigene ähnliche Geschichte zu erzählen und so eine Verbundenheit aufzubauen sollte unbedingt unterlassen werden.
Es ist wichtig den Klienten seine Geschichte ungestört und in seinem Tempo erzählen zu lassen. Dabei können, häufig bei neuen Geschichten, „Sendepausen“ seitens des Klienten entstehen, weil er seine Geschichte ordnen muss. Diese Stille sollte man unbedingt „aushalten“ und nicht durch z.B. Fragen füllen
• Man sollte unbedingt eigene Bewertungen der Geschichte unterlassen. Bewertungen können angeboten werden – sollten aber, wenn möglich, dem Klienten überlassen sein.
• Das verändernde Ereignis ist für das Coaching oft ein wichtiger Aspekt und sollte am Ende der Geschichte herausgearbeitet werden.
Der Klient grenzt die Zeit vor und nach dem Ereignis meist chronologisch oder sprachlich ab, dies kann dem Coach helfen das Ereignis zu finden.
• Das gefundene Ereignis kann man in der Folge nutzen um mit dem Klienten neue Bedeutungsebenen zu finden und eine Musterunterbrechung zu erreichen.
Abschließend ist zu erwähnen das der narrative Ansatz nicht für jeden Coach die passende Methode sein muss. Man sollte fremde Geschichten „mögen“ und die Geduld haben den Klienten erzählen zu lassen. Passt dies nicht zum eigenen Naturell bieten sich sicher andere Methoden an.
Anpassen der Methodik für die Anwendung im Team
Um die Methodik des narrativen Ansatzes auf ein ganzes Team (statt auf einen Klienten) anzuwenden habe ich einige Vorüberlegungen angestellt.
Zunächst sollte das Team einige Grundvoraussetzungen erfüllen um für die narrative Methodik in Frage zu kommen:
• Das Team sollte zumindest größtenteils seit längerer Zeit bestehen. Gerade frisch gegründete Teams oder Teams die vor kurzen eine größere Fluktuation in der Zusammensetzung hatten eignen sich meines Erachtens nicht so gut für die Methode
• Das Team sollte bereits ein Grundvertrauen zueinander besitzen. Sollte dies nicht der Fall sein sollte zuerst das Vertrauen gefördert werden, bevor man die Methodik einsetzt
• Das Team sollte sich zum Zeitpunkt des Coachings nicht in einer Konfliktsituation befinden, da dies das Fokussieren und Erfolg der Methodik behindert
Während bei einem Einzel-Coaching der Klient seine Geschichte erzählt, ist es bei einem Team für den Coach wichtig das Erzählen der Geschichte so zu moderieren, dass er wirklich die „Team-Geschichte“ hört und nicht die „gefärbte Geschichte“ eines einzelnen Team-Mitgliedes.
Damit ist explizit nicht gemeint die Geschichte in Frage zu stellen, sondern nach dem Erzählen einer Geschichte durch ein Team-Mitglied von dem restlichen Team eine „Zustimmung“ zu bekommen das die Geschichte so für alle „passt“.
Zusätzlich ist es wichtig echte Team-Geschichten zu herauszufiltern.
D.h. an einer für das Team relevanten Geschichte sollten mehrere aktuelle Team-Mitglieder beteiligt sein und sie sollte für das Team eine verändernde Wirkung gehabt haben.
Nur so kann man die oben bereits genannten Ziele der narrativen Methodik erreichen:
• Dem Team Unbewusstes bewusst zu machen
• Dem Team helfen, die eigene Team-Mechanik, die Wirkung nach außen besser zu verstehen und so Verhaltensmuster zu erkennen
• Optional: eine Musterunterbrechung für das Team herauszuarbeiten