Abschlussarbeit von Frieder Schumann, als PDF lesen
Die Ziele des Coachings sind individuelle Veränderung im Verhaltenspotenzial von Personen […] zum Zwecke der Erhöhung der Problemlösefähigkeit. Die Veränderung Verhaltenspotenzial basiert auf selbstregulativen Lernprozessen, einer Intentionsbildung und einer Aufrechterhaltung der Intentionen […].
(Kluge/Hagemann 2016, 1)
In dieser Arbeit werfe ich Blicke auf die Hypothese, dass Coachings stets einen Lernprozess darstellen, ordne Coachingprozesse in Konzepte des Lernens ein und entwickele daraus Impulse für Coachings.
Coaching – Begriffsnäherung
Der Begriff Coaching ist weder geschützt, noch ist er klar auf einen Bereich ausgerichtet oder einstimmig. In dieser Arbeit möchte ich aus der Vielstimmigkeit heraus das Verständnis eingrenzen, um Erkenntnisse für einen spezifischen Anwendungsbereich zu erhalten.
Coaching im von mir ausgewählten Verständnis stellt einen strukturierten, zeitlich begrenzten Prozess dar, der von einem Coach verantwortet wird und bei dem die_der Klient_in bzw. Coachee auf die eigenen Ziele und Bedürfnisse ausgerichtet „neue Erkenntnisse und Handlungsalternativen entwickelt“ (DVCT). Für diesen professionellen, personenbezogenen Coaching-Prozess sind bei Person, die das Coaching in Anspruch nimmt, also eine Entwicklung und ein Zugewinn charakteristisch.
Erstens kann bei Entwicklung eine qualitative lösungs-, potential- und zielorientierte Veränderung von „Fähigkeiten und Zielen“ (ECA) vom Coachee geleistet werden. Und zweitens ist auch eine quantitative Erweiterung von zusätzlichen, neuen Informationen, ErlebensWahrnehmungs- oder Handlungsmöglichkeiten leistbar.
Auf Basis mess- oder bemerkbarer qualitativer und quantitativer Veränderungen bei der gecoachten Person wird auch von einer „Weiterentwicklung von individuellen oder kollektiven Lern- und Leistungsprozessen“ (DBVC) auf Grundlage von Selbstreflexion und -wahrnehmung gesprochen.
Die Dichotomie eines klar voneinander trennbaren Vorher und Nachher kann selbstverständlich hinterfragt werden. Es ist möglich, dass eine Lösung oder eine Handlungsalternative bereits zu Beginn eines Coachings besteht und sich erst entschieden werden muss oder das Bestehende der_dem Coachee nach und nach bewusst wird. Oder auch die Vorstellung, dass ein Problem durch eine Lösung ersetzt werden muss, kann in Frage gestellt werden.
So ist auch denkbar, dass bereits im Problem etwas Sinnvolles, z.B. ein Anliegen oder Bedürfnis steckt, das verstärkt oder konsequenter verfolgt werden möchte (Schmidt 2020, 116) In der Abbildung 1 soll vor allem das Schema eines (Coaching-)Prozesses darstellen, in dem Veränderung möglich wird und stattfindet. Und Coaching kann auch vom Ende oder vom Ziel eines kongruenten, idealen Selbstkonzepts her betrachtet werden, nachdem eine ergebnisorientierte Selbstreflexion (Greif/Möller/Scholl 2016, 3f) erfolgt ist.
Coaching als Lernprozesse
Coaching-Definitionen legen bereits fest, dass es sich um Lernprozesse handelt. Lernen wird dabei als ergebnisorientierte, messbare Veränderung von Einstellungen, Wahrnehmung und Verhalten betrachtet. Es erfolgt dabei im Prozess, der durch eine Interaktion gestaltet wird. Dieses Verständnis knüpft an verschiedene Lerntheorien an.
Lerntheorien
Da Lernen in so unterschiedlichen Kontexten, Lebensphasen und Rollen und mit verschiedenen Intentionen erfolgt erscheint die bisherige Definition, dass es sich um eine Veränderung handele, sehr reduktionistisch und unterkomplex (Faulstich 2013). Daher möchte ich der vorgenommenen Abstraktion mehr Leben und Facetten einhauchen.
Wie und was Menschen lernen wird von unterschiedlichen Theorien unterschiedlich gerahmt.
Behavioristisch-verhaltenswissenschaftliche Konzeption von Lernen
Von außen ist zunächst beobachtbar welche Einflüsse oder Reize auf Lernende einwirken und wie sie sich dazu verhalten. Wer einen Lernprozess beobachtet nimmt aus der Beobachtung heraus viel Distanz zum lernenden Subjekt auf und versucht das Vorher und Nachher und eine Veränderung vor allem im Verhalten festzustellen.
Alles, was zwischen Reiz und Reaktion liegt, ist ‚black-box‘. Gedanken und Gefühle entziehen sich der Sichtbarkeit.
(Faulstich 2013, 37)
Gleichzeitig versucht ein solcher Ansatz deutlich zu machen, was ohne Erklärung sicht- und messbar wird, was zweifelsohne ein Indikator ist und in manchen Kontexten wird vor allem das menschliche Verhalten wahrgenommen. Eine Verbindung mit den dahinterliegenden Kognitionen und Emotionen kann nur vermutet oder aufgrund zurückliegender Erfahrungen gedeutet werden. Natürlich wissen wir inzwischen aus Erfahrung und systematischen Erforschen z.B. welche Emotion – zumindest ein Teil innerer Prozesse – mit welchem Gesichtsausdrücke meistens verbunden ist. Und wir können natürlich auch durch Kommunikation mehr darüber erfahren, wie die beobachtete Person einen Reiz wahrgenommen hat und wie sie in Folge gehandelt hat.
Kognitivistische Lerntheorie
Wenn wir Kontakt zu Lernenden aufbauen und sie befragen stellen wir meist Verbindung zu ihren internen Prozessen her. Es gibt eine Reihe von Fragen die wir zur Verarbeitung von Reizen und zur Erklärung der Reaktion stellen können. Wie wurde etwas wahrgenommen, gemerkt, erinnert? Wie wurde darüber gedacht, wie wurde es beurteilt? Und wie wurde entschieden, damit umzugehen? Die Lernenden erhalten damit aktive Rollen. Sie sind erkenntnisfähig und autonom. Sie leisten Anpassungsprozesse in Interaktion mit ihrer Umwelt.
Gleichzeitig gibt es auch hier Grenzen. Bei der Verarbeitung von Sinnesreizen wird gefiltert.
Nicht alle Eindrücke gelangen in unser Bewusstsein. Und ob unbewusst oder auch bewusst grenzt die Richtung der Aufmerksamkeit und das Gedächtnis Eindrücke aus. Darüber hinaus bleiben die internen Prozessen unausreichend beleuchtet. Wie entstehen Gefühle und wie wirken sie in Verbindung mit dem Handeln? Und das Außen erhält den Charakter der black-box, indem es auf die Beobachtung eines Reizes oder eines Modells reduziert bleibt (Faulstich 2013).
Selbstregulatives Lernen
Mit Betonung der Eigenaktivität von Lernenden rücken die Beschäftigung mit den eigenen, bewussten Handlungen, deren Zielgerichtetheit und deren Anpassbarkeit in den Fokus. Bereits zu Beginn des Lernprozesses kann eine Vorstellung des Ergebnisses bestehen, sodass der Lernprozess bezweckt eine Kongruenz zwischen Ist- und Sollzustand herzustellen.
Und Menschen sind in der Lage sequentiell über den Prozess wahrzunehmen, inwieweit die Kongruenz erreicht ist, weiter zu planen und absichtsvoll zu handeln. Das ermöglicht längere und komplexe Lernprozesse zu betrachten und zu erklären (Faulstich 2013).
In den Blick geraten vor allem die Kontrolle von Aufmerksamkeit, Emotion, Motivation, Umgebung und Dosis der Informationsverarbeitung, um durch geplante Tätigkeit ein bestimmtes Ziel zu erreichen (Kluge/Hagemann 2016, 3f). Die Ziele werden dabei gesetzt. Wie sie zustande kommen, wofür sie aufgestellt wurden ist nicht Teil der Beschäftigung. Somit
tauchen Fragen der Sinnhaftigkeit, der Bedeutsamkeit und der Freiheit im Tätigkeitsspielraum […] nicht auf
(Faulstich 2013, 51).