Abschlussarbeit von Anette Weber, als PDF lesen
Unser Alltag wird immer internationaler. Menschen aus verschiedensten Bereichen mit unterschiedlichen Hintergründen treffen im Job, in der Uni oder im Freundeskreis aufeinander und prägen, verändern und beeinflussen sich gegenseitig. Wir kleiden uns französisch, essen italienisch, sprechen englisch, bereisen Afrika, arbeiten bei einem Global Player und richten uns asiatisch ein.
Lange Entfernungen mit dem Flugzeug zu überwinden ist günstiger und kürzer als es noch vor 30 Jahren der Fall war. Als Europäer ist nicht erst eine Reise nach Indien nötig, um einen Kulturschock zu bekommen. Meist reicht es schon, sein Nachbarland, ein anderes Bundesland sogar eine andere Abteilung in der gleichen Firma zu besuchen. Also immer dann, wenn wir auf Menschen treffen, die aus einem anderen Kontext stammen und überwiegend unser Verständnis von „Normalität“ nicht teilen, entstehen Fragezeichen in unseren Köpfen.
Unser Verhalten mit anderen Menschen ist bestimmt durch Werte, Normen und Spielregeln der Kultur, in der wir geprägt wurden. Dieser erlernten Werte-, Regeln-, und Verhaltenskatalog ist in bewussten und unterbewussten Programmen abgespeichert und wird erst in Frage gestellt, wenn es auffällige, äußere Abweichungen zu dieser Norm gibt. (z.B. bei einem Schüleraustausch, beruflichen Entsendung). Das Ansetzen des eigenen Standards als Prämisse für „Normal“ wird als Ethnozentrismus bezeichnet.
Somit ist ein Kulturschock unausweichlich, wenn der eigene Maßstab die Skala für das Normale darstellt. Reaktionen reichen von Konfrontation, Resignation und Blockade hinzu neugierigem Kopieren und Anpassung. Erst durch das Erleben, dass die eigenen Werte, Normen und Spielregeln gar nicht „normal“ sind erfolgt eine Reflexion über genau diese. Zur Wiedererlangung der eigenen Handlungsfähigkeit und Sicherheit im Umgang mit dem Umfeld ist das Wissen um die sichtbaren und unsichtbaren Spielregeln eine wichtige Basis. Schnell neigen wir dazu, Beobachtungen in einem uns fremden Kontext mit unseren Normen und Werten zu interpretieren. Dieser Transfer des uns „Bekannten“ in das „Unbekannte“ kann ohne Überprüfung zu falschen Schlussfolgerungen und Bewertungen führen. Missverständnisse und Abwertungen können die Folge daraus sein.
Dieser Vorgang ist fruchtbarer Boden für Stereotype und Vorurteile. Ein Stereotyp ist eine stark vereinfachte und reduzierte Darstellung von bestimmten Eigenschaften oder Verhaltensweisen einzelner Personen oder ganzer Gruppen. Das Herunterbrechen komplexer Eindrücke auf wenige Merkmale erlaubt uns, Situationen schneller einzuordnen und dient letzten Endes unserer Orientierung. Die Stereotypisierung bedient sich der eigenen Erfahrungen und legt bestimmte Merkmale in dafür vorgesehene mentale Schubladen ab. Der Vorgang an sich ist nicht negativ zu bewerten, wenn man sich der starken Reduzierung der Realität bewusst ist und auch in der Lage ist, Merkmale neuen Schubladen zuzuordnen.
Das Vorurteil hingegen bedient sich nicht der eigenen Erfahrungen oder Wahrnehmungen sondern will ein vorab gewertetes Urteil fällen. Verallgemeinerungen werden emotional besetzt und in ihren mentalen Schubladen festgehalten, so dass keine Reflexion oder Auseinandersetzung mit diesen erfolgen kann. Aus diesem Grund sind Vorurteile nur schwer zu durchbrechen. Vorurteile werden oft auch von anderen Personen vorbehaltslos übernommen und sind meistens verknüpft mit einer negativen Wertung bezüglich einer Person oder Personengruppe. Das gefährliche an Vorurteilen ist, dass sie sich, bedingt durch den eigenen Wahrnehmungsfilter, sehr leicht selbst bestätigen und vermehren.
Beispiel Stereotyp:
Alle Deutschen essen täglich Kartoffeln.
Beispiel Vorurteil:
Deutsche sind Kartoffel-Fresser.
Wichtig für eine erfolgreiche Interaktion innerhalb eines fremden Kontextes ist dabei auch die emotionale Kompetenz und die interkulturelle Sensibilität, die es uns erlauben, die Konzepte der Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens und Handelns der Fremdkultur bei unserem Handeln zu berücksichtigen. Die eigenen Erfahrungen in diesem Moment zurückzustellen und die Bereitschaft Stereotype und Vorurteile zu revidieren und Neues zu erlernen sind hierbei elementar. Z.B. ist für Personen aus dem ostasiatischen Raum direkter Blickkontakt unangenehmen und kann sogar als Beleidigung empfunden werden. Ein Deutscher, für den der Blickkontakt ein wichtiger Teil der Kommunikation ist, wird mit diesem Verhalten kein befriedigendes Ergebnis erzielen können. Ein weiteres Beispiel: Auch das sichere Beherrschen einer anderen Sprache ist kein Garant für eine gelungene und zielführende Kommunikation. Die stärkste rhetorische Waffe der Japaner ist das Schweigen. Wenn ein Deutscher in einem japanischen Meeting die Verhaltensweisen (das Schweigen) nach deutschen Maßstäben bemisst wird er zu einer anderen Schlussfolgerung kommen als sein Umfeld. Auch wenn der Beschluss des Meetings eindeutig mit „Ja, alle sind dafür“ beendet wurde, kann die Bedeutung des Beschlusses das genaue Gegenteil bedeuten. Das Schweigen zwischen den Sätzen und der Kontext (wer sagt wann, was und wie) ist entscheidender als die gesprochenen Worte. Ohne Erklärung und mit wiederholt ähnlichen Erfahrungen würde der Deutsche irgendwann denken, dass Japaner nie zu ihrem Wort stehen und unzuverlässige Geschäftspartner sind.