Zur Bedeutung des ressourcenorientierten Ansatzes
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Schätzungen zufolge gehören ca. 15 bis 20 % der Menschen der Gruppe der Hochsensiblen (HSP – Highly Sensitive Persons) an. Sie zeichnen sich durch eine höhere Reizwahrnehmung aus, die häufig schneller zu Erschöpfung und einer scheinbar geringeren Belastbarkeit führen kann. Hochsensible Menschen leiden daher oft unter dem Gefühl des Versagens, in dieser schnellen Welt nicht mithalten zu können. Auch von außen werden HSP oft als „seltsam“ und wenig belastbar angesehen. HSP finden sich unter anderem aus diesen Gründen überproportional in Coachings wieder (U. Hensel). Vielen ist dabei ihre besondere hochsensible Veranlagung nicht oder nur in Teilen bewusst, so dass sie sie nicht in Zusammenhang mit ihren alltäglichen Problemen bringen. Daher ist es von großer Bedeutung, dass ein Coach ein Grundwissen über das Erkennen, die besonderen Herausforderungen, typische Problembereiche sowie wirksame Strategien hierzu hat. Das Wesensmerkmal der HSP kann dabei auch bei anderen Anliegen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Eigenschaft stehen, mitgedacht und bei Methoden und Lösungsstrategien berücksichtigt werden.
Gerade aufgrund ihrer hohen Wahrnehmungsfähigkeit und des ihnen oft eigenen Bestrebens nach Wahrhaftigkeit haben HSP einen hohen Anspruch an die Persönlichkeit und Haltung des Coaches. Oftmals haben sie eine länger andauernde, mitunter lebenslange „Leidensgeschichte“ hinter sich, in der sie als „Sensibelchen“ oder „Angsthase“ verspottet wurden bzw. auf Unverständnis gestoßen sind. Insbesondere in einem Coaching, in das Menschen u.a. genau aufgrund dieser speziellen Geschichte kommen, ist es daher von großer Bedeutung, dass sie in ihrer Eigenart ernst genommen werden und es ihnen nicht erneut so ergeht. Ein wichtiger Ansatz ist daher insbesondere hier, den Blick weg von vermeintlichen Defiziten und hin zu den besonderen Ressourcen, die sich aus der Hochsensibilität ergeben, zu lenken, einen gezielten Umgang hiermit in den unterschiedlichen Lebensbereichen zu finden sowie diese sinnstiftend in die Gemeinschaft einbringen zu können und schließlich mehr im inneren Frieden zu leben.
Definition Hochsensibilität
Aufgrund der besonders leichten Erregbarkeit des Nervensystems nehmen hochsensible Menschen ihre Umgebung bei gleicher Reizexposition mehr und intensiver wahr als andere Menschen. Sie sprechen schon auf Reize an, die bei anderen Menschen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen, und das Erregungsniveau hat schon durch geringere Stimulation einen Bereich der Übererregung erreicht. „Da die Intensität ihrer Informationsaufnahme höher ist als bei anderen Menschen, folgt häufig eine empfundene Reizüberflutung und sie geraten schneller an ihre “Schmerzgrenze”. Was genau Hochsensible allerdings im Einzelfall stärker wahrnehmen als normal sensible Menschen, ist unterschiedlich und abhängig davon, wie stark sich die Wahrnehmung auf das Innere und das Äußere erstreckt.“ (U. Henseler)
Weit verbreite ist die Annahme, dass Hochsensible Menschen introvertiert seien. Dies stimmt nur bedingt: Etwa 70% der HSP sind gleichzeitig auch noch introvertiert. Das heißt, sie beziehen ihre Energie aus dem Kontakt mit sich selbst und aus Phasen der Ruhe und des Alleinseins. Die 30% der HSP, die demnach extrovertiert sind, haben es manchmal besonders schwer. Sie beziehen ihre Energie, aus dem Kontakt und dem Austausch mit anderen. Diesen nehmen sie jedoch sehr intensiv wahr und gehen daher oft über ihre Grenzen.
Verarbeitungstiefe (Depth of processing)
Als grundlegende Eigenschaft wird die gründliche Verarbeitung von Informationen bewertet: Aufmerksames und detailliertes Beobachten sowie vertieftes Nachdenken und die unbewusste Auswertung von Wissen gehen dem Sprechen und Handeln voraus. Daher sind HSP oft langsamer in der Entscheidungsfindung.
Übererregbarkeit (Overarousability)
Da HSP aufgrund ihrer detaillierten Wahrnehmung mehr Reize wahrnehmen und verarbeiten müssen als NichtHSP sind sie in einer unruhigen Umgebung, im Zusammensein mit vielen Menschen und bei vielschichtigen Anforderungen schnell überstimuliert bzw. übererregt. Dies führt zu Unwohlsein und Nervosität sowie einem Nachlassen der Leistungsfähigkeit und einer Aktivität im Sympathikus (erhöhter Herzschlag, feuchte Hände, …), also akutem Stress.
Emotionale Intensität (emotional intensity)
Durch das überdurchschnittliche Empfinden kommt es zu starken emotionalen Reaktionen, die sich z.T. in Gefühlsausbrüchen/Überreagieren äußern können.
Da dies auch bei traumatisierten Menschen der Fall ist, ist es wichtig, dies nach Möglichkeit zu unterscheiden. Das wesentliche Kriterium hierfür ist nach Aaron, dass traumatisierte Menschen überwiegend negative Reaktionen zeigen während HSP auf sämtliche Lebensereignisse stark reagieren (verletzlich aber auch genussfähig), viel Motivation aus positiven Emotionen erfahren (Neugier, Vorfreude, Sehnsucht, Zufriedenheit) und sehr gut auf unterstützende Angebote ansprechen.
Sinnes-Sensibilität (sensory sensibility)
HSP zeigen eine hohe Sensibilität gegenüber Sinneseindrücken wie optischen Wahrnehmungen, Geräuschen, Gerüchen, Haut- und Geschmacksempfindungen auf. Diese sind jedoch nicht in den Sinnesorganen begründet sondern in der Art der neuronalen Reizverarbeitung. Dies wird deutlich in einer niedrigen Wahrnehmungsschwelle, durch die Fähigkeit, Feinheiten zu unterscheiden und/oder einer geringen Toleranz bei einer hohen Reizzufuhr.
Hochsensibilität – Geschenk und Aufgabe
Eine hochsensible Veranlagung stellt für die Betroffenen im Alltag und im Umgang mit für andere Menschen „normalen“ Situationen oft eine Herausforderung dar, da sie durch die ständige Aufnahmen von Reizen schneller zu Erschöpfung neigen. Dies macht es ihnen oft schwer, in der durch zunehmende Reize und hohe Geschwindigkeit dominierten Welt über eine längere Zeit Schritt zu halten, was für sie häufig zur Belastung wird und vom Umfeld als scheinbar geringere Belastbarkeit interpretiert wird.
HSP sind jedoch genauso leistungsfähig wie nicht HSP, wenn die Voraussetzungen stimmen und eine hohe Motivation da ist. Das Bewusstmachen für und Annehmen dieses Umstandes sowie die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen ist daher – insbesondere im Coaching-Prozess – eine wichtige Aufgabe und ein wesentlicher Meilenstein hin zu einem erfüllten und ausbalancierten Leben.
Neben den eher belastenden Anteilen birgt die Eigenschaft der Hochsensibilität zudem zahlreiche positive Aspekte:
So kann Hochsensibilität bei einem bewussten Umgang zu einem intensiven, genussreichen Leben beitragen, da Eindrücke sehr tief wahrgenommen werden können und dies zu einem intensiven Erleben positiver Eindrücke wie z.B. in der Natur oder auch zwischenmenschlicher Beziehungen und Begegnungen führen kann. Gerade in zwischenmenschlichen Beziehungen mit vertrauten Personen wird dies oft als sehr wohltuend wahrgenommen, Hochsensible werden oft als empathische Gesprächspartner wahrgenommen und geschätzt, die auch feinfühlige Aspekte in Diskussionen einbringen. Da HSP als „Seismographen“ für Stimmungen gelten, vermögen sie es oft, durch ihre sozialen Fähigkeiten und ihre Empathie eine angenehme (Arbeits-)atmosphäre zu schaffen.
Von vielen Hochsensiblen wird die vernetzte Wahrnehmung als zentrale Lebenskompetenz genannt, die sie im Alltag sinnstiftend einsetzen können. So behalten sie oft in schwierigen oder komplexen Situationen den Überblick und halten bei Besprechungen den roten Faden im Blick.
Hochsensible verfügen oft über hochtrainierte Fähigkeiten zur Interpretation ihrer Umwelt, da sie sich nicht mit verfälschend einfachen Denkmustern zufrieden geben. Entgegen ihrer eigenen oft geringen Einschätzung ihrer Fähigkeiten als Führungskraft stellt dieses hochkomplexe Denken eine besondere Führungskompetenz dar, die sich darüber hinaus auch im Coaching-Prozess hervorragend nutzen lässt.
Weitere Eigenschaften, die Hochsensiblen zugeschrieben werden können:
• oft stark ausgeprägte Intuition
• besonders differenziertes, strukturiertes Denken
• ausgeprägtes Feingefühl im Umgang mit Menschen und mit Tieren
• hohe Kreativität
• ausgeprägter Sinn für Ästhetik und Schönheit
• Freude am Lernen
• Vielfältige Interessen
Hochsensible Klienten im Coaching
Als Coach ist es wichtig, um die Besonderheiten hochsensibler Menschen zu wissen, um im Coaching eine bisher noch unentdeckte hochsensible Veranlagung als mögliche Ursache für wiederkehrende Problemstellungen in Betracht zu ziehen, einen angemessenen Umgang mit hochsensiblen Coachees zu finden und diese schließlich in ihrer Entwicklung im Einklang mit ihrer Veranlagung adäquat zu begleiten. Neben den oben genannten Merkmalen gibt es einige Wesensmerkmale, die vielen HSPgemein sind und ihre spezielle Eigenart auszeichnen:
HSP haben häufig hohe Ansprüche an die Sinnhaftigkeit ihrer Beschäftigung. Sie werden als suchende, sehnsüchtige Menschen, die danach streben, mit den eigenen Fähigkeiten einen Beitrag zu dieser Welt leisten. Die oft große Vielzahl an Interessen und Begabungen und die große Freude daran, Neues zu lernen, stellt einerseits ein großes Potential dar, erschwert dabei die Entscheidung für eine bestimmte Tätigkeit. Das Finden einer passenden, sinnstiftenden Beschäftigung ist daher für sie oft eine besondere Herausforderung, da sie in „normalen“ Tätigkeiten schnell die Motivation verlieren. Charakteristisch ist dabei eine gewisse Unsicherheit sowie die Neigung, sich übermäßige Gedanken zu machen und in Grübelei zu verfallen. Gleichzeitig lässt stellt dieses große Streben nach Sinnhaftigkeit aber eine enorme Kraft- und Motivationsquelle dar, die HSP zu großen Leistungen anspornen kann.
Viele HSP berichten über eine tiefe Sehnsucht nach Verbundenheit – sei es mit anderen Menschen oder auch der Natur. Diesem Wunsch nach Verbundenheit steht oft die als schmerzhaft empfundene Erfahrung des Getrenntseins entgegen. Dies bringt sie in vielen Fällen dazu, sich übermäßig anzupassen, um „dazuzugehören“ und diese Verbundenheit erfahren zu können. Wichtig ist es hier, zu lernen, dass dieser Wunsch auch auf eine andere, für sie gesündere Art erreicht werden kann.