Glück ist erlernbar

als Ansatz der angewandten Positiven Psychologie
im Coaching

Abschlussarbeit von Kristina Maludy-Meessen, als PDF lesen


Vorwort

Als ich im zweiten Modul meiner Systemischen Coaching Ausbildung beim wunderbaren Manfred Wagner das erste Mal etwas über „Positive Psychologie“ hörte, hat es mich direkt angesprochen, denn es erschien mir so nachvollziehbar, dass dieser Ansatz den menschlichen Bedürfnissen am ehesten entspricht – sei es bei der Problembewältigung oder bei der Förderung von Leistungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit, aber auch im Leben allgemein. Den Fokus darauf zu legen, was funktioniert, was gut ist und dieses nachhaltig zu verstärken, machte für mich von Anfang an Sinn. Denn es verspricht eine Leichtigkeit im Coachingprozess für beide Parteien, wobei das Anliegen des Coachees dennoch ernst genommen und gewürdigt wird. Der Satz, der bei mir den meisten Eindruck hinterlassen hat:

„Repariere nicht, was nicht kaputt ist!“

Ich habe mir daraufhin Literatur zu dem Thema besorgt, kam darüber zu Fakten aus der Glücksforschung, zu noch mehr Literatur über Glück generell und über die Erkenntnisse auf dem Gebiet im Coachingkontext. So lag es auf der Hand, dass ich meine Abschlussarbeit diesem Themenbereich widmen würde.

Die Bücher und Webseiten, die mir als Informationsquellen und als Inspiration gedient haben, habe ich zuvor aufgelistet.

Mir hat die Lektüre und die Zusammenfassung jedenfalls sehr viel Freude gemacht.
In diesem Sinne wünsche ich auch viel Freude beim Lesen dieser Arbeit! :)

Positive Psychologie

Definition

Positive Psychologie ist die wissenschaftliche Beschreibung positiver Aspekte des menschlichen Lebens. Sie beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren unter anderem mit den Grundlagen eines „guten Lebens“, wie z.B. Glück und Wohlbefinden, Tugenden und Charakterstärken, sowie der Erfüllung im Leben allgemein. Untersucht werden die begünstigenden Faktoren und Bedingungen des Wohlbefindens, um die Lebenszufriedenheit zu steigern bzw. zu stabilisieren.
In der Positiven Psychologie steht die psychische Widerstandsfähigkeit (Resilienz) im Vordergrund.

Entstehung und Nutzen

Erstmals verwendete Abraham Maslow 1954 den Begriff „Positive Psychologie“ im Zusammenhang mit dem Wachstumsbedürfnis des Menschen; jedoch gelten als ihre Begründer die beiden US-amerikanischen Psychologen Martin E. P. Seligman und Mihály Csikszentmihály.
Bei einer Ansprache 1998 für die American Psychological Association griff Seligmann den Begriff erstmals wieder auf, während er in seiner Rede kritisierte, dass der Erforschung der positiven Aspekte des Lebens zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Denn bis dahin hatte sich die Psychologie hauptsächlich mit den Faktoren von psychischen Störungen und ihrer Heilung beschäftigt und sich darauf konzentriert, wie man unglückliche Menschen von ihrem Leid befreit, anstatt sich mit der Entwicklung psychisch gesunder Menschen zu befassen und wie man diesen helfen kann, ein erfülltes Leben zu führen. Diese Bestrebungen fasste Seligman unter dem Schlagwort „Positive Psychologie“ zusammen und gilt seitdem als derjenige, der die Positive Psychologie in den Fokus der wissenschaftlichen Psychologie geholt und ihre Entwicklung maßgeblich gefördert hat.

Es folgten zahlreiche Forschungsprojekte und Veröffentlichungen auf dem Gebiet. Die Forschungsinteressen  der Positiven Psychologie liegen nach wie vor in der Erforschung des optimalen menschlichen Funktionierens und wie es sich erhalten lässt. Die Abkehr von der Defizitorientierung hin zur Stärkenorientierung markiert eine Wende zu einer bedürfnisorientierteren Psychologie, welche auch gesellschaftliche Aspekte mit einbezieht, die bei der Bewältigung von Krisen und kritischen Lebensereignissen eine große Rolle spielen. Die Konzepte und Interventionen finden heute ihre Anwendung in Psychotherapie und Coaching, aber auch in Führung und Personalentwicklung, Bildung und Erziehung.

Positive Psychologie nimmt dabei eine objektive Haltung ein, indem sie sowohl die guten als auch die schwierigen Seiten des Lebens beleuchtet und sich von nicht empirisch begründeten Ratgebern distanziert, wie sie zum Beispiel häufig in Selbsthilfeliteratur oder in der Esoterik zu finden sind.

Grundhaltung und Menschenbild

Basierend auf einem humanistischen Menschenbild, welches impliziert, dass jeder Mensch danach strebt, ein selbstbestimmtes und gleichzeitig auf andere bezogenes Leben zu führen, und fähig und gewillt ist, seinem Leben Ziele und Sinn zu verleihen, vertritt die Positive Psychologie die Haltung, dass jeder Mensch Schwächen und gleichzeitig einzigartige Stärken besitzt. Jeder Mensch hat positive Eigenschaften und ist in sich wertvoll. Es wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch nach Selbstverwirklichung strebt und danach, sich gemäß seinen Möglichkeiten zu entwickeln und zu wachsen.

Ziel

Positive Psychologie möchte dazu beitragen, dass Menschen ihre Stärken erkennen und einsetzen und dass sie ihr Potenzial voll entfalten können. Dazu befasst sie sich in Theorie und Forschung mit Fragen, die nicht nur von Psychologen, sondern von Philosophen, Theologen und Politikern im Laufe der Jahre gestellt wurden, wie beispielsweise:

– Wie kann man Glück definieren und messen?
– Wie lässt sich subjektives Wohlbefinden steigern?
– Warum sind manche Menschen oder Gruppen glücklicher als andere?
– Was sind unterstützende Faktoren für gelingendes Leben und Arbeiten?

Die beiden Begriffe, die in Zusammenhang mit Positiver Psychologie am häufigsten fallen, sind Wohlbefinden und Glück.

Die Suche nach dem Glück

Obwohl das Streben nach einem gelingenden Leben und nach Glück in so vielen Kulturen und seit vielen Epochen als ein so existenzieller Teil des menschlichen Seins gilt, hat sich die Psychologie erst relativ spät dieser Thematik angenommen. Seither wird systematisch geforscht und gemessen, um das Konstrukt Glück weiter zu ergründen.

Fakten aus der Glücksforschung

Der jährliche Bericht des „World Happiness Reports“ der UNO, der seit 2012 eine weltweite Rangliste zur Lebenszufriedenheit in verschiedenen Ländern der Welt veröffentlicht, wird anhand von diesen Faktoren erhoben: das Bruttoinlandsprodukt, die Lebenserwartung der Menschen, das soziale Angebot für Bedürftige, das Vertrauen in die Regierung und Wirtschaft, die gefühlte Entscheidungsfreiheit und die Spendenbereitschaft. Der Bericht verbindet dazu unter anderem Daten von Sozialsystemen und Arbeitsmarkt mit Befragung über die Selbstwahrnehmung der Menschen. Ziel des Rankings ist es, Regierungen weltweit zu einer besseren Politik zu bewegen. In 2020 belegte Deutschland Platz 17, Finnland den 1. Platz und Afghanistan den 153. und damit letzten Platz.

Seit 2012 gibt es sogar einen offiziellen „International Happiness Day“ – den 20. März.

Wie lässt sich Glück messen?

Glück ist eine sehr persönliche Sache und lässt sich kaum objektiv messen, daher sind Forscher in der Regel auf die Selbsteinschätzung ihrer Probanden angewiesen und wie diese ihr subjektives Wohlbefinden angeben. Sie wenden zur Erfassung für gewöhnlich zwei verschiedene Methoden an: Zum einen fragen sie die Probanden, wie zufrieden diese allgemein in ihrem Leben sind. Zum anderen untersuchen sie das aktuelle Verhältnis von positiven und negativen Gefühlen.

Wie äußert sich Glück im Gehirn?

Was in unserem Gehirn passiert, wenn wir glücklich sind, dazu gibt es unzählige Forschungen und Erkenntnisse, die sich jedoch nur oberflächlich zusammenfassen lassen. Denn die Neurobiologie des Glücks ist sehr komplex und, wie die meisten Vorgänge im Gehirn, haben wir sie längst noch nicht vollständig erforscht und verstanden. Eine zentrale Rolle bei unserem Glücksempfinden und dem Drang, uns immer wieder den Dingen zuzuwenden, die uns Wohlbefinden verschaffen, spielt aber unser Belohnungs- und Motivationssystem. Es besteht aus einer ganzen Reihe von Hirnarealen, die vor allem über den Botenstoff Dopamin (auch als „Glückshormon“ bekannt) miteinander kommunizieren.
Für einen Zustand innerer Ausgeglichenheit und Zufriedenheit ist ein anderes Hormon zuständig, nämlich Serotonin. Es stimuliert jene Hirnregionen, die für die emotionale Regulierung und das Gleichgewicht der Gefühle verantwortlich sind. Dies trifft gleichermaßen auf beide Geschlechter zu. Jedoch gibt es auch geschlechtertypische Unterschiede in Hinblick auf die Vernetzung der Gehirne. Frauen beispielsweise reagieren intuitiver auf äußere Ereignisse als Männer. Die Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften ist bei Frauen wesentlich intensiver ausgebildet als beim männlichen Geschlecht, was u.a. unterschiedliche Strategien bei der Bewältigung von Problemen zur Folge hat.

Wie funktioniert Glück?

In ihrem Buch „Glücklich sein – The How of Happiness“ beschreibt Sonja Lyubomirsky, dass 40% des Unterschieds im Glücksempfinden zwischen zwei Personen allein durch das unterschiedliche Handeln und Denken der jeweiligen Personen erklärbar sind. Nur 10% des unterschiedlichen Glücksempfindens lassen sich durch äußere Faktoren erklären. Die restlichen 50% lassen sich auf genetische Voraussetzungen zurückführen. Das bedeutet, dass man durch die eigene Denkweise sehr viel mehr Einfluss auf sein persönliches Glück nehmen kann, als manche vielleicht annehmen.

Der Pionier Seligman hat die Ergebnisse seiner Forschungen zu dem, was wir für ein glückliches und erfülltes Leben tun können, als Theorie des Wohlbefindens im PERMA-Modell zusammengefasst und dieses in fünf Bereiche aufgeteilt, nämlich „Die 5 Säulen des Glücks“:

    1.  Positive Emotionen
    2.  Engagement (Stärken einsetzen)
    3.  Relationship (Beziehungen)
    4.  Meaning (Sinn)
    5.  Achievement (Zielerreichung)

Laut Seligman bilden diese fünf Bereiche die Säulen, auf denen persönliches Wohlbefinden und Zufriedenheit bauen. Wenn alle dieser Säulen ausreichend erfüllt sind, dann führt man aller Voraussicht nach ein gutes und erfülltes Leben.

Barbara Fredrickson hat in ihrem Buch „Die Macht der positiven Gefühle“ diese 10 wichtigsten positiven Emotionen ermittelt, die einen besonderen Effekt auf das Glücksempfinden haben sollen:

    1. Freude
    2. Dankbarkeit
    3. Heiterkeit (Gelassenheit)
    4. Interesse (Neugier)
    5. Hoffnung (Zuversicht)
    6. Stolz
    7. Inspiration
    8. Spaß (Vergnügen)
    9. Ehrfurcht (Staunen)
    10. Liebe

Die Häufigkeit regelmäßig empfundener positiver Emotionen ist dabei für die Wirkung auf das persönliche Wohlbefinden entscheidender als die absolute Intensität.

Warum nach Sinn streben?

Paul Wong hat in der Positiven Psychologie einen maßgeblichen Beitrag zum Forschungsgebiet des Sinnerlebens geleistet. Er definiert Sinn als ein primäres menschliches Bedürfnis, das entscheidend zum guten Leben beiträgt. Gelebter Sinn hat zudem eine Doppelfunktion: Er kann Leiden heilen und neuem Leid vorbeugen.

Subjektives Sinnerleben ist dabei sehr unterschiedlich. Der Psychologe Robert A. Emmons hat vier zentrale Bereiche identifiziert, aus denen sich dieses Erleben speist:

•  Leistung und Arbeit
➢ sich für seine Arbeit engagieren und von ihrem Wert überzeugt sein

• Beziehungen und Nähe
➢ gute Beziehungen mit anderen pflegen und anderen vertrauen

• Religion und Spiritualität
➢ eine persönliche Beziehung mit etwas Höherem erleben

• Selbsttranszendenz und Generativität
➢ nicht nur aus eigenen Interessen handeln, sondern einen Beitrag zu einer Gemeinschaft oder der Gesellschaft leisten / ein Vermächtnis hinterlassen

Die Einbeziehung des Lebenssinns ist eine wichtige Quelle für persönliches Wachstum und für Resilienz. Letzteres ist besonders in Krisenzeiten und wenn veränderte Lebensumstände zu Destabilisierung führen von Bedeutung. Dann kommt es auf die innere Einstellung und auf Aspekte wie Optimismus, Akzeptanz und Lösungsorientierung an, um die Opferrolle zu verlassen, Verantwortung zu übernehmen und um selbstwirksam zu sein.


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Quellen
Bild: https://salvere.swiss/ „Meaning-Making-Modell (nach C.L. Park und L.S. George, 2013)