Genogramm

als sinnvoller Einstieg in die Familienaufstellung

Abschlussarbeit von Gesche Hugger, als PDF lesen


Was ist ein Genogramm?

Ein Genogramm ist eine bildliche Darstellung der Familienbeziehungen in einem Familiensystem.

Es geht inhaltlich über einen klassischen Familienstammbaum hinaus. Denn in einem Genogramm werden auch Schicksale in der Familiengeschichte wie Verlust der Heimat (häufig durch Flucht im Krieg), Kriegserlebnisse, früher Tod oder Selbstmord festgehalten. Auch sich wiederholende Verhaltensmuster wie Alkoholismus, Missbrauch, Adoptionen oder schwere Krankheiten können in einem Genogramm visualisiert werden (Frot, S. 85).

In der klassischen Psychotherapie gehört es zur üblichen Vorbereitung, dass wichtige Aspekte aus dem Leben der Klientin abgefragt werden.

Auch heute erfragen viele Aufstellerinnen bei den Klientinnen Informationen über die Herkunftsfamilie, bevor der Aufstellungsprozess beginnt.

Durch das umfassend gemachte und detaillierte Bild vom Familiensystem der Klientin bei der vorbereitenden Biografiearbeit lassen sich eventuell Hypothesen ableiten, die bei der Aufstellungsarbeit eine Rolle spielen können.

Das Genogramm hat seinen Ursprung in der Organisationslehre, wo es auch heute noch in Form eines Organigramms genutzt wird, um die Strukturen und Funktionen einer Organisation und ihrer Mitgliederinnen abzubilden (Hartung/ Spitta, S. 60 ff.).

Mittlerweile werden Genogramme nicht nur in der Familienforschung, sondern auch in der Medizin, Psychologie, Psychiatrie oder Sozialpädagogik angewendet.

Vorgehensweise bei der Erstellung eines Genogramms

In der Regel wird ein Genogramm am besten auf ein Flipchart-Blatt oder ein Whiteboard oder ein großes Stück Papier gezeichnet.

Dazu gibt es verschiedene Symbole, die sich bei der Genogrammarbeit etabliert haben (siehe Link im Literaturverzeichnis).

Meist fängt man bei der Klientin selbst und ihrer Herkunftsfamilie an. 

Es werden die Geschwister und die Klientin in der Reihenfolge ihrer Geburtsjahre aufgemalt, sowie ihre Eltern.

Dazu wird zum Beispiel erfragt, ob es in der Familie Fehlgeburten, Abtreibungen oder Krankheiten gab oder gibt.

Sind die Eltern verheiratet (Heiratsdatum), getrennt oder geschieden? 

Und welchen Grund gab es für Trennungen? 

Weiterhin werden dann die Geschwister der Eltern mit aufgeführt sowie deren Eltern, also die Großelterngeneration der Klientin.

Auch dort werden dieselben Fragen gestellt wie zu der Herkunftsfamilie der Klientin.

Desweiteren schaut man auf Themen wie Heimatverlust (häufig durch Flucht im Krieg) oder wiederholt im Familiensystem auftretende Krankheiten, Muster oder Besonderheiten wie Familiengeheimnisse (Lockert (Hrsg.), S. 116 ff.).

Somit werden bei einem Genogramm in übersichtlicher bildlicher und graphischer Form Informationen festgehalten über die Familienstrukturen der Klientin, die über (meist) drei Generationen hinweg einen Einblick geben zur historischen Entwicklung des eigenen Familiensystems (Molitor, S. 30).

Mögliche Vor- und Nachteile der Genogrammarbeit für Familienaufstellungen

Genogramme bieten die Möglichkeit, Wiederholungen oder Besonderheiten in der eigenen Familiengeschichte zu entdecken und dazu Strategien zur Veränderung zu entwerfen (Molitor, S. 30).

Es lassen sich Hypothesen ableiten, die für die anschließende Aufstellungsarbeit von Interesse sein können:

    1. Hypothese über die Familienstruktur
      (z.B. Wie ist die Familie zusammengesetzt?  Wie sieht die Geschwisterkonstellation aus?)
    2. Hypothese zu Übergängen in familiären Lebenszyklen
      (z.B. Ablösung im Jugendalter, Heirat, Geburten, Pensionierung, Tod)
    3. Hypothese zu generationsübergreifenden Mustern
      (z.B. Welche wiederkehrenden Verhaltensmuster kehren über Generationen hinweg auf?)
    4. Hypothese über Lebensereignisse und deren Funktionalität
      (z.B. Welche Funktion hat der frühe Tod eines Familienmitglieds  in der Eltern- und Großelterngeneration?)
    5. Hypothese über Beziehungsmuster und Dreiecke
      (z.B. Gab es verschwiegene Liebesaffären?  Wofür steht das Beziehungsdreieck “alleinerziehende Mutter und Kind versus getrennt lebender Vater”?)
    6. Hypothese über das Familiengleich- und -ungleichgewicht
      (z.B. Wieso kommt keine “Ruhe” in die Familie rein?  Wieso ist die Familienstruktur “unruhig”?)

(Molitor, S. 40 ff.)

Mögliche Vorteile

Durch den Überblick über das eigene Familiensystem kann die Klientin ihre eigene Lebens- und Familiengeschichte besser verstehen.

Die bei der Genogrammarbeit gewonnenen Erkenntnisse können in der Familienaufstellung emotional verankert werden und selbst im Körper wahrgenommen werden. 

Die Aufstellung kann sich somit auf das Wesentliche, das in der Genogrammarbeit herausgearbeitet wurde, fokussieren.

Es können unterbrochene seelische Hin- oder Wegbewegungen in der eigenen Geschichte oder bei früheren Angehörigen erkannt werden und verbunden mit dem emotionalen Erleben vollendet werden in einer Aufstellung.

So kann sie zur Heilung der inneren Familie und des Selbstbildes beitragen (Lockert (Hrsg.), S. 116 ff).

Außerdem können bei der Genogrammarbeit im Vorfeld ressourcenvolle Personen im Familiensystem ausgemacht werden, die als Vorbilder oder Kraftquellen in der Aufstellungsarbeit nützlich sein können (Molitor, S. 40 ff.).

Durch das strukturierte und übersichtliche Genogramm sind alle, die zum Familiensystem gehören, präsent und einbezogen.

In der Aufstellung werden dadurch Nachfolgende entlastet und frei (Lockert (Hrsg.), S. 128).


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Quellen

*Zur besseren Lesbarkeit wird im ganzen Text die weibliche Form verwendet, stellvertretend für alle anderen Geschlechtsformen.

Alex, Kristine (2015):  Die Ordnungen des Erfolgs.  Gollenshausen:  Verlagshaus Alex.
Frot, Pierre (2012):  Lexikon des Familienstellens und der systemischen Aufstellungsarbeit.  Darmstadt:  Schirner Verlag.
Hartung, Stephanie/Spitta, Wolfgang (2020):  Lehrbuch der Systemaufstellungen.  Grundlagen, Methoden, Anwendung.  Berlin:  Springer-Verlag.
Lockert, Marion (Hrsg.) (2020):  Perlen der Aufstellungsarbeit.  Heidelberg:  Carl-Auer-Verlag.
Molitor, Claudia (2012):  Ich und die Anderen.  Norderstedt:  Books on Demand GmbH.
Weber, Gunthard (Hrsg.)(2017):  Zweierlei Glück.  Das klassische Familienstellen Bert Hellingers.  Heidelberg:  Carl-Auer-Verlag