Abschlussarbeiten von Ursula Zahn, als PDF lesen
Erläuterung zum Beratungskontext
Ich bin als betriebliche Sozialberaterin in einem Unternehmen mit ca. 5000 Beschäftigten tätig. Zugang für das Aufgabengebiet ist der Abschluss des Studiums „Soziale Arbeit“ und eine mehrjährige Berufserfahrung in unterschiedlichen sozialen Arbeitsfeldern.
Meine Funktion und Rolle im Unternehmen ist klar definiert und fest verankert:
Alle Beschäftigten auf allen Organisationsebenen können eine psycho-soziale Beratung/Coaching in privaten oder beruflichen Belangen in Anspruch nehmen.
Die Inanspruchnahme der Sozialberatung ist freiwillig und für alle Beschäftigten kostenfrei.
Die Beratung ist vertraulich und unterliegt der gesetzlichen Schweigepflicht (SGB I §35/STGB § 203). Somit habe ich keinerlei Berichtspflichten an weitere betriebliche Akteure, wie beispielsweise Vorgesetze, Personalabteilung, Betriebsrat, Betriebsarzt etc.
Gelegentlich wünschen MitarbeiterInnen eine Beratung außerhalb des Betriebsgeländes. Auf Wunsch oder bei Bedarf besuche ich sie zu Hause oder – falls sich jemand in einer Fachklink aufhält (Psychosomatik/Sucht) – auch dort.
Weitere Tätigkeitsfelder sind Mitwirkung in betrieblichen Gremien (Arbeits- und Gesundheitsausschuss, Mitwirkung beim betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM), und Beteiligung am betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) (z.B. Impulsvorträge zum Thema Stress, Alkohol, gesund Führen etc. zu halten).
Ich kooperiere mit anderen betrieblichen SozialberaterInnen aus anderen Unternehmen und tausche mich in kollegialen Treffen alle 8 Wochen mit Ihnen aus.
Falldokumentation: Frau Yos (*Name frei erfunden)
Beratungskontext
Ort der Beratung:
Büro der Sozialberatung (Eingangsbeschreibung). F. Yos legt mir per Outlook einen Termin in meinen Kalender mit dem Betreff:
„Benötige ihre Hilfe“
F. Yos kommt pünktlich zum vereinbarten Ersttermin zu mir ins Büro. Sie ist 35 Jahre alt, gepflegtes Äußeres, eine große schlanke Statur. Sie erlebte mich in einem Impulsvortrag zum Thema „Stressmanagement“ und bei ihr entstand die Idee, mich zu kontaktieren.
Bis dato glaubte sie, die Sozialberatung werde nur bei „schweren“ Problemen in Anspruch genommen (z.B. Alkoholproblematik, Krisen etc.).
Präsentiertes Anliegen
F. Yos berichtet, dass sie ein wichtiges Projekt erfolgreich abgeschlossen hat.
Ihr Vorgesetzter (VG) hat sie mehrmals bei Karrieresprüngen „übersehen“ und männliche Kollegen bevorzugt. Diesmal hat er ihr angeboten, im nächsten Geschäftsjahr, die Leitung für ein Prestigeprojekt zu übernehmen.
Hierfür muss sie in die Zentrale nach Hamburg wechseln. Die Erwartungshaltung des VG ist, dass sie nach außen sichtbarer wird und mehr „Nabelschau“ betreibt.
Sie fühlt sich geschmeichelt, dass ihr Vertrauen entgegengebracht und Verantwortung übertragen werden soll. Gleichzeitig ist sie sich nicht sicher, ob sie über ausreichende Führungskompetenzen verfügt. Sie beschreibt die Betriebszentrale als „Haifischbecken“ (= großer Konkurrenzkampf).
Sie möchte ihren VG nicht enttäuschen, der Wechsel würde schließlich einen Karrieresprung bedeuten.
Um das Gefühl der Unsicherheit zu lösen und sichtbarer zu werden hat sie schon an Trainings für angehende Führungskräfte teilgenommen.
Auch ein Rhetorik Kurs wurde belegt, da sie gerne eine festere und stärkere Stimme haben möchte. Immerhin wird sie jetzt von ihrem VG erkennbar wahrgenommen.
Statt sich über das Angebot zu freuen, macht es ihr Angst.
Klärung des Auftrages
F. Yos möchte ihren „Gedankensalat“ entwirren und Klarheit gewinnen, für welche berufliche Option sie sich entscheiden soll (in Düsseldorf bleiben oder nach Hamburg gehen) und innerhalb der nächsten zwei Monate eine Entscheidung treffen.
systemische Fragen: z.B.
Was möchten Sie konkret mit der Beratung erreichen und woran würden Sie erkennen, dass die Beratung hilfreich war?
Bis wann möchten Sie eine Entscheidung treffen?
Interventionen (Zusammenfassung 5 Sitzungen)
Systemische Interventionen
(Pacing, Leading, Komplimente, Lob, Metaphern, Skalierungsfragen)
Unter Einsatz von o.g. systemischen Interventionen werden Aspekte beleuchtet wie:
Was hindert Sie eine Entscheidung zu treffen?
Welche Überlegungen sind bereits vorhanden?
Welche Pros/ Kontras hat sie im Kopf?
Für wen würde der Ortswechsel die größte Veränderung bedeuten?
Wer würde am meisten/wenigsten davon profitieren, wenn sie hier bleiben?
Woran würden Sie erkennen, dass sie eine gute Entscheidung getroffen haben?
Welche Personen wären durch eine Veränderung aktiv oder passiv betroffen?
Was ist das Gute am „Nicht-Entscheiden“?
etc.
Die linearen Fragen dienen der Informationsgewinnung, die zirkulären Fragen um Beziehungen zu erfragen durch das Annehmen einer Außenperspektive.
„Spielfiguren“
Darüber hinaus setze ich bei F. Yos eine Methode mit Spielfiguren ein (größere „Menschärgere-Dich-nicht“ Figuren).
Als erstes stellt Frau Y. eine Figur für sich selbst auf den Tisch. Sie bekommt einen Haftzettel mit ihrem Namen dran.
Dann stellt sie die Menschen dazu, die eine besondere Rolle in ihrem Leben spielen: Eltern, Freunde/ Freundinnen, Expartner, Vorgesetzter, Kollegen, Kunden etc.
Sie stellt jede Figur mit Namensschild versehen, neben ihre Figur auf den Tisch.
Beim Hinstellen soll sie berücksichtigen, wie nah oder fern der andere ihr ist. Und sie soll auch überlegen, in welcher Beziehung sie zu dem anderen steht.
Ist der andere ein Unterstützer ihres Vorhabens oder ein Bedenkenträger?
Von wem bekommt sie Energie, wer zieht welche ab?
Die Idee ist, dass Frau Yos die Möglichkeit hat, sich ihr System von außen anzuschauen. Es handelt sich hierbei nicht um eine Familien-oder Organisationsaufstellung mit der ihr eigenen Dynamik.
Der „Draufblick“ oder die Meta-Ebene, ermöglicht ihr zu erkennen, dass sie im persönlichen System (Freunde) viele Unterstützer hat. Auch im beruflichen System hat sie sich ein Netzwerk aufgebaut, das ihr den Rücken stärkt, nebenbei erkennt sie ihre Stärke (Teamplayerin).
Das familiäre System zieht ihr Energie ab (fühlt sich für ihre kränklichen Eltern verantwortlich). Ihre Ortsverbundenheit ist ihr „sicherer Hafen“, gleichzeitig spürt sie den Wunsch, mehr von der Welt zu entdecken.
Tetralemma – Entscheidungsmöglichkeiten identifizieren (VAKOG)
Im Weiteren identifizieren wir die verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten, wobei mir hier sinnvoll erscheint, neben den Varianten Düsseldorf/Hamburg noch weitere Entscheidungsmöglichkeiten anzubieten.
(Was gäbe es noch?)
Jede Variante wird mit einem Zettel auf den Boden gelegt.
A) Düsseldorf
B) Hamburg
C) weder Düsseldorf noch Hamburg
D) Düsseldorf und Hamburg gleichzeitig
E) „Neutraler Ort“ (Bodenanker)
Beschreibung: F. Yos. steht in der Mitte (neutraler Ort) und betrachtet die Entscheidungsmöglichkeiten. Ich führe Sie durch den Prozess:
„Wenn Sie nun diesen neutralen Ort verlassen und sich auf eine Entscheidungssituation hinbewegen, dann versuchen Sie sich für diese neue Erfahrung zu öffnen. Und jetzt, da sie auf der Entscheidungssituation (hier wurde A, B, C, D eingefügt) stehen, können sie spüren, wie sich das anfühlt, wenn Sie sich für die Entscheidungsmöglichkeit entschieden hätten.
Stellen Sie sich vor, sie haben sich für diese Situation entschieden, spüren sie mit ganzen Sinnen nach, wie sich das anfühlen würde.
Was sehen sie?
Was hören sie?
Was fühlen sie?
Welche Körperempfindungen haben sie?
Welche Gedanken haben sie?
Tauchen da Bilder auf?
Wenn ja, welche?
Ich achte darauf, dass F. Yos die Situation assoziiert erlebt (VAKOG) und keine Bewertungen oder Vergleiche mit anderen Entscheidungssituationen macht.
Die Antworten schreibe ich auf Karten und lege sie zu der Entscheidungssituation.
Nach jeder Entscheidungssituation wird der neutrale Ort aufgesucht und die vorherigen körperlichen Empfindungen „weggestrichen“.
Es findet eine Wiederholung, jeder Entscheidungsmöglichkeit statt, bis F. Yos jede einzeln nachgespürt hat.
Ich bitte sie wieder in die Mitte zu gehen (neutraler Ort) und die verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten zu betrachten.
Auf die Frage:
„Welche Entscheidungsmöglichkeit zieht sie spontan an?“
antwortet sie lächelnd:
„Variante B (Hamburg)“