Abschlussarbeit von Marina Ly, als PDF lesen
Einleitung
Stellt man die Frage „Was ist der Sinn des Lebens?“ an beliebige Personen im sozialen Umfeld, so gibt es auf den ersten Blick eine Vielfältigkeit an Antworten.
Beim genaueren Betrachten der Antworten sind viele in der Art
„Es gibt keinen objektiven Sinn des Lebens. Es geht darum glücklich zu sein!“
Intuitiv wissen wir Menschen, dass Glücklichsein essenziell ist, um unser Leben als sinnvoll und sinnstiftend zu empfinden. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist somit verbunden mit der Frage nach dem Glück.
Was macht uns Menschen glücklich? Was ist Glück überhaupt?
We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the Pursuit of Happiness.
– Erster Satz des Präambels der amerikanischen Verfassung 1
Glück ist für den Menschen so fundamental, dass das Recht auf Streben nach Glück in der amerikanischen Verfassung verankert ist.
Wir können davon ausgehen, dass jegliches Handeln von Menschen zu jedem Zeitpunkt nur einem einzigen Zweck dient, nämlich sein persönliches Glück oder das Glück seiner Mitmenschen zu vermehren.
Dieses fundamentale Prinzip ist nicht nur bei Menschen zu beobachten. Es ist im Grunde bei allen Lebewesen mit Bewusstsein vorhanden.
Auch Tiere reagieren und handeln so, um möglichst glücklich zu sein. Aber zusätzlich ist Glück beim Menschen nicht nur Zweck und Ziel jeglicher Handlungen, sondern auch der größte Motivator und Sinnstifter im Leben.
Obwohl jeder Mensch ununterbrochen nach Glück strebt, ist es keineswegs gewiss, dass er auch sein Glück findet oder glücklich sein wird.
Im Widerspruch zu all diesen Glücksstreben wird eine Zunahme an Depressionen, Burn-Outs, Midlife-Crisis, Stress und Unzufriedenheit in der Gesellschaft diagnostiziert.
Die Nachfrage an Psychotherapien, psychologische Beratungen und Life-Coaching nehmen stetig zu, sodass man meinen könnte, die Menschen wissen nicht, wie sie ihr Glück finden können. 2
Dieses Phänomen soll in dieser Arbeit detailliert erklärt werden. Dabei wird zunächst die Frage beantwortet, was Glück überhaupt sei (Kapitel 2). Diese Frage wird facettenreich beantwortet, indem Erklärungsversuche und die relevantesten Konzepte aus verschiedenen Bereichen wie die abendländische Philosophie, buddhistische Philosophie, Neurobiologie, Psychologie, Glücksforschung und Sozialwissenschaften betrachtet und bewertet werden.
Basierend darauf soll ein Verständnis von Glück abgeleitet werden, das im Einklang mit den Glückskonzepten aus den genannten Bereichen ist.
Anschließend wird in Kapitel 3 die Rolle des Coaches im Hinblick auf Glücksberatung analysiert.
Basierend auf dem Verständnis von Glück wird eine Analyse der Coaching-Methoden durchgeführt, die in einer Glücksberatung sinnvoll angewendet werden können.
Die Arbeit schließt mit dem Kapitel Zusammenfassung, Fazit und Ausblick ab. Eine thematische Übersicht mit den zu beantwortenden Fragestellungen ist in Abbildung 1 dargestellt.
Die Essenz von Glück
In diesem Kapitel wird Glück genauer unter die Lupe genommen. Beginnend mit der sprachlichen Deutung des „Glück“-Begriffs wird Glück aus verschiedenen Perspektiven betrachtet.
Die Perspektiven beinhalten hauptsächlich die wichtigsten Ansichten aus der Philosophie, Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft: Glück in der Gesellschaft und Wirtschaft, Glück als moralischer Leitfaden und Glück als Emotion bzw. als Lebensgefühl.
Was ist mit Glück gemeint?
Der Mensch strebt nicht nach Glück; nur der Engländer tut das.
– Friedrich Nietzsche, Philosoph 3
Mit diesem Satz verurteilte der Philosoph Friedrich Nietzsche in seinem Werk GötterDämmerung oder wie man mit dem Hammer philosophiert den Utilitarismus, der damals in England stark verbreitet war.
Heute ist dieser Satz prädestiniert dafür, aus dem Kontext entrissen zu werden, um die Bedeutung des Wortes Glück zu erläutern und dabei auf die Schwierigkeit in der deutschen Sprache hinzuweisen.
Glück hat zwei Bedeutungen in der heutigen Sprache.
Zum einen bedeutet Glück ein wohlwollendes zufälliges Ereignis wie bspw. das richtige Ankreuzen der Zahlen einer Lotto-Ziehung. Zum anderen bedeutet Glück das positive Gefühl in einem emotionalen Moment und Zustand, der bspw. nach dem Gewinnen einer Lotto-Ziehung auftritt.
Der Engländer verwendet für diese beiden unterschiedlichen Bedeutungen die Wörter luck und happiness.
In dieser Arbeit wird Glück nur im Sinne von happiness verstanden und analysiert. Schließlich sucht kein Klient einen Life-Coach auf und fleht: „Bitte helfen Sie mir, ich habe die falschen Lottozahlen angekreuzt!“. Der Coach ist schließlich kein Schornsteinfeger oder Hufschmied.
Weitere Bedeutungen, die in dieser Arbeit mit dem Begriff Glück gemeint oder synonym verwendet werden, sind: Freude, Lust, Heiterkeit, Erfüllung, Vergnügen, Genuss und Zufriedenheit.
Im weiteren Verlauf des Kapitels wird ersichtlich, weshalb diese pedantische Betrachtung und Deutung des Glückbegriffs sinnvoll, ja sogar zum Teil notwendig ist.
Schließlich können Menschen bestimmte Konzepte gedanklich nicht erfassen, wenn das Konzept sprachlich nicht existiert.
(Vielleicht ist das der Grund weshalb der Engländer laut dem World Happiness Report 2020 glücklicher ist als der Deutsche 4; der Deutsche hat einfach kein klares Verständnis von Glück als Konzept. Das englische Wetter und die englische Küche sind als Begründung wohl kaum geeignet.)
Betrachtung von Glück
Seit geraumer Zeit versuchen Menschen Glück zu verstehen und über ihn habhaft zu werden.
Bereits die Philosophen in der Antike grübelten den ganzen Tag über das Glück, während ihre Sklaven bereits das Gegenteilige von Glück, nämlich das Leid, gespürt und tief verinnerlicht haben. Im späten Verlauf der Philosophiegeschichte spalteten sich „Fächer“ aus den Philosophiebereichen Ethik und Naturphilosophie ab.
Neue Bereiche wie die Naturwissenschaft (u.a. Biologie/Neurobiologie), Psychologie, Sozialwissenschaften (inkl. Glücksforschung) und Ökonomie sind dadurch entstanden. Eine besondere Gemeinsamkeit dieser Bereiche und Fächer ist die Tatsache, dass sie Glück als Forschungsobjekt oder als Forschungspunkt beinhalten.
Da diese verschiedenen Bereiche und Wissenschaften unterschiedliche Methoden und Denkweisen verwenden, kann Glück aus vielfältigen Perspektiven betrachtet werden.
Im Folgenden werden diese Betrachtungsweisen aus den Fachbereichen kondensiert vorgestellt.
Die erste Fragestellung in diesem Kapitel Was ist Glück? wird mehrfach aus unterschiedlichen Sichtweisen beantwortet.
Glück in der Naturwissenschaft
Die Methodik in der Naturwissenschaft fundiert fast ausschließlich auf Empirie und Rationalität.
Daraus ergibt sich, dass Glück in der Naturwissenschaft nur in Form eines objektiven Gegenstandes betrachtet werden kann, der unabhängig von einem Subjekt bzw. Beobachter existiert.
Somit versuchen Naturwissenschaftler, insbesondere Neurobiologen, das Glück als metaphysisches Objekt in ein physisches Verständnis von Glück zu verankern, das sowohl empirisch beobachtbar als auch quantifizierbar ist.
Es gibt zwei naturwissenschaftliche Vertiefungsbereiche, die sich nennenswert mit Glück befassen: die Evolutionsbiologie und die Neurobiologie. Zunächst sei gesagt, dass Glück in diesem Kontext nicht ausschließlich auf den Menschen bezogen ist, sondern als eine Emotion, die von vielen (Säuge-)Tieren erfahren werden kann.
Quellen
1 http://www.verfassungen.net/us/verf87-i.htm: Präambel der Amerikanischen Verfassung, 2000
2 Summer, E.: Macht die Gesellschaft depressiv? Alain Ehrenbergs Theorie des »erschöpften Selbst« im Licht sozialwissenschaftlicher und therapeutischer Befunde. Reflexive Sozialpsychologie, Bd. 3. s.l.: transcript Verlag 2008
3 Nietzsche, F.: Götzendämmerung oder wie man mit dem Hammer philosophiert. Insel-Taschenbuch, Bd. 822. Frankfurt am Main: Insel-Verl. 1995
4 Helliwell, John F., Richard Layard, Jeffrey Sachs, and Jan-Emmanuel De Neve: World Happiness Report. 2020
5 Plutchik, R.: The emotions. Lanham, Md: University Press of America 1991