Facilitating und systemischen Coaching
in der Begleitung von persönlichen Veränderungen
Abschlussarbeit von Lena Göritz, als PDF lesen
In zwanzig Jahren wirst du mehr enttäuscht sein über die Dinge, die du nicht getan hast, als über die Dinge, die du getan hast.
Also löse den Knoten, laufe aus dem sicheren Hafen aus. Erfasse die Passatwinde mit deinen Segeln.
Erforsche. Träume.
Mark Twain
Einleitung
In 2016/2017 absolvierte ich bei der School of Facilitating eine Ausbildung zum Facilitator/ Prozessbegleiter für Veränderungen.
Diese Ausbildung hat mich in meiner Haltung und meinem Denken sehr geprägt. Bereits währen dieser Ausbildung stellte sich mir die Frage, wo den der Unterschied zwischen einem Facilitator und einem systemischen Coach liegt.
Während beider Ausbildung kristallisierte sich immer mehr für mich heraus, dass für mich die Gemeinsamkeiten eines Facilitators und eines Coachs markanter sind, als dass die Unterschiede für mich deutlich wurden.
Umso spannender fand ich die Frage, wo ich in einem Coachingprozess von meinen Erfahrungen aus der Facilitatorausbildung profitieren könnte und ggfs. mit einer Methode experimentieren könnte.
In dieser Abschlussarbeit möchte ich mich entsprechend mit einigen Gemeinsamkeiten zwischen dem Facilitator und dem systemischen Coach beschäftigen, kurz die Theorie U umreißen, die die Basis für die Facilitatorausbildung war, um dann explizit eine im Coachingsprozess angewandte Facilitaor Methode zu beschreiben und zu reflektieren.
Was ist ein Facilitor?
Die School of Facilitating beschreibt einen Facilitator als einen Prozessbegleiter von Veränderungen innerhalb von Organisationen, Teams und Individuen, die durch ihn gefördert, unterstützt und begleitet werden.
Sie nehmen wahr, spiegeln, fragen, geben Impulse, wecken innere Kräfte, öffnen Räume für Vertrauen, machen Handlungsangebote, gestalten Inszenierungen, verhelfen Lösungen ans Licht.1
Das erklärte Ziel eines Facilitators ist es, Handlung zu ermöglichen.
Die grundsätzliche Haltung eines Facilitators ist es, dass das Wissen im System liegt und es keine „richtige“ oder „falsche“ Lösung gibt. D.h. der Klient, ob Organisation oder Individuum, ist Experte für die für ihn passende Lösung.
Die Grundabsicht des Facilitators ist es, Beteiligte einer Veränderung handlungsfähig zu machen, indem die Bereitschaft geweckt und das Bewusstsein geschärft wird, sich aktiv mit komplexen Veränderungen zu beschäftigen und eine persönliche Haltung dazu zu entwickeln.
Als Prozessbegleiter hält er den Rahmen für die Beteiligten des Veränderungsprozesses und ist ein Teil des Prozesses:
er unterstützt den Prozess durch Einbringen seiner subjektiven Empfindungen und Wahrnehmungen.
Gemeinsamkeiten zwischen dem Facilitator und dem systemischen Coach
Mit der beschriebenen Haltung eines Facilitators findet sich aus meiner Sicht eine starke Übereinstimmung in der Haltung eines systemischen Coachs:
Auch hier ist der Klient der Experte für sein eigenes System, für seine passende Lösung. Er entscheidet, was für ihn hilfreich ist.
Der Coach ist Prozessbegleiter, verantwortet den Prozess, beobachtet, spiegelt und ermöglicht Perspektivwechsel.2
Als einen möglichen Unterschied könnte man beschreiben, dass der Klient in der Regel mit einer vermeintlich konkreten Zielsetzung zum Coach kommt, die sich gegebenenfalls innerhalb des Prozesses verändern kann.
Hingegen ist in einem Facilitatingprozess die Zielsetzung oftmals noch unklar – der Klient kommt mit dem Wunsch einer notwendigen Veränderung zum Facilitator. Der Zielzustand formt sich entsprechend innerhalb des Prozesses – der Veränderungsprozess folgt der Intuition, um Raum für das Neue zu öffnen.
Ebenfalls vergleichbar mit dem systemischen Coach, ist der Facilitator ein Teil des Prozesses: er unterstützt den Prozess durch Einbringen seiner subjektiven Empfindungen und Wahrnehmungen.
Die Theorie U – die Grundausstattung des Facilitators
In dem Verständnis nach der School of Facilitating (Vgl. Facilitating Change, 2013) orientiert sich der Facilitator an der Theorie U nach Otto Scharmer (2007) als Leitfaden und Basis für die Begleitung von Veränderungsprozessen.
Klassische Veränderungsprozesse basieren primär auf einer IST-Analyse, der Definition eines Zielbilds, um darauf das „GAP“ abzuleiten und entsprechende Maßnahmen zu definieren.
Ein Prozess der sich häufig eher auf einer eher rationalen Ebene stattfindet.
Die Theorie U geht tiefer und findet über neun Prozessstufen auf drei Ebenen statt:
Öffnung des Denkens,
Öffnung des Fühlens,
Öffnung des Willens, die eine Organisation, Gruppe oder Individuen durchlaufen.
Der U-Prozess durch das Vergrößerungsglas, S.38 3
Die Prozessstufen innerhalb des U-Prozesses4
Downloading
Bestehende und vertraute Denk- und Verhaltensmuster sind die Basis für unser Reden und Handeln.
Erst wenn dieses Wissen, wie wir mit derzeit zugänglichen Ideen auf ein Thema oder Fragestellung schauen und es lösen würden, ausgespeichert oder „gedownloaded“ haben, können wir uns für andere Sichtweisen öffnen.
Seeing
Wir öffnen unsere Wahrnehmung, in der „Qualität des Staunen eines Kindes“5.
Wie ein unbedarftes Kind nehmen wir alle Informationen über unsere Sinne wahr mit der inneren Bereitschaft Neues zu entdecken. Ohne Bewertung, lassen wir eine Öffnung des Denkens zu.
Die ermöglicht Annahmen, Überzeugungen und Gewohnheiten, die hinderlich sind für den kreativen Prozess, infrage zu stellen in unterschiedliche Perspektiven und Realitäten anzuerkennen.
Sensing
In dieser Prozessstufe wird eine emotionale Verbindung mit dem Anliegen geschaffen.
Im Vergleich zu klassischen Veränderungsprozessen, wird hier bewusst in den Kontakt mit den Emotionen gegangen. Wenn Emotionen involviert sind, entsteht Leidenschaft, Begeisterung und Energie für Projekte.
Hier befinden wir uns nach Scharmer auf der Ebene des „offenen Herzens“ mit persönlichen Hoffnungen und Sorgen, um innere und äußere Grenzen, trennende Sichtweisen und Gefühlen, Raum zu geben.
Letting go – Presencing – Letting come
Der Dreiklang im Tanz mit der Zukunft.
Das Kunstwort „Presencing“ setzt sich zusammen aus dem englischen „presence“ und „sensing“ – die Gegenwart erspüren.
In dieser Phase spielt sowohl das Loslassen, als auch das Freigeben, von altem, bewährtem Geliebten, Mustern und Glaubenssätzen, oder Zulassen, von Neuem, Unbekannten, eine entscheidende Rolle. Für diesen Prozess braucht es Zeit, um die Potenziale, die bereits zu einem gewissen Grad vorhanden sind, und die damit einhergehenden „leisen Signale“ wahrnehmen zu können.
Ziel des Facilitators in dieser Phase ist es, den Klienten in seiner inneren Verbindung mit dem Anliegen und sich selbst durch Aktivierung von eigenen Ressourcen und Kraftquellen zu unterstützen und den jetzt spürbaren Optionen der Zukunft zu öffnen.
Crystallizing
Hier nimmt die Essenz der Presencing Phase Gestalt an.
Auch wenn die Idee noch unkonkret ist, zieht es das Anliegen in die Zukunft. Es ist eine kreative Phase in der durch Skizzen, Gespräche, die Idee mehr Gestalt und Form annimmt, um nebulös, verstecktes sichtbar zu machen.
Hier greift als Katalysator das Prinzip der „denkenden Hände“ durch analoge Methoden, wie Basteln, Bauen, Kneten, Malen. Unserem inneren Wissen wird durch die formenden Hände Ausdruck gegeben.
Der Facilitator hat in dieser Phase die Aufgabe, dass die Haltung des Klienten offen und nichtbewertend bleibt, um die schöpferische Kreativität fließen lassen zu können.
Prototyping
Nach der Maxime: „scheiter heiter“, geht es in dieser Phase darum, das Neue zu verproben, um in einer geschützten Atmosphäre Fehlern frühzeitig zu entdecken, sich auszuprobieren, durch schnelle Feedbackzyklen zu lernen und zu optimieren.
Die Idee wird dadurch weiterentwickelt, um die richtige Reife zu gelangen.
Der Facilitator ermöglicht das Probehandeln, indem er hierfür Übungsräume schafft und die Angst vor dem Scheitern nimmt.
Performing
Das Neue wird im Alltag gelebt und institutionalisiert.
In dieser Phase bekommt es seinen Namen, Form und kommunikative Vermarktung. Durch Beteiligung von bisher nicht eingebunden Akteuren kann Kritik aufkommen.
Der Facilitator hat die Aufgabe, den Klienten bis zum Erfolg der Idee zu begleiten, sodass die Offenheit für das Lernen bestehen bleibt und aufkommende Kritik integriert wird.
Der U Prozess ist kein linearer Prozess.
Es kann geschehen, dass mitten im Prozess festgestellt wird, dass wieder zu einer vorherigen Phase zurückgekehrt werden muss.
Je entschleunigter der Prozess zwischen den Phasen downloading bis letting go verläuft, umso beschleunigter ist der Prozess auf der rechten Seite (zwischen letting come bis performing) und führt zu einer deutlichen Qualitätssteigerung des Ergebnis6.
In meiner Facilitatorausbildung bei der School of Facilitating haben wir eine Methode kennengelernt, in der in einer Sitzung der Facilitator den Klienten durch die unterschiedlichen Phasen des U’s führt.
Inspiriert davon, habe ich in einem Coachingprozess diese Methode bei einem Coachee angewendet, um sein zentrales Anliegen zu bearbeiten.
Quellen bis hierher
1 Beutelschmidt, K., Franke, R., Püttmann, M. & Zuber, B. (2013) Facilitating Change. Mehr als Change Management: Beteiligung in Veränderungsprozessen optimal gestalten., S.15
2 Vgl. Inkostellation, Skript zur Ausbildung, Jahrgang September 2018, S.29
3 >Scharmer, C. Otto (2007) Theory U: Leading from the Future as it Emerges. The Society for Organizational Learning, Cambridge, USA.
4 Vgl. Facilitating Change, 2013
5 Vgl. Facilitating Change, 2013, S.39
6 Vgl. Facilitating Change, S.47