Abschlussarbeit von Denise Schulz, als PDF lesen
Hintergrund
Ein Schwerpunkt meiner Arbeit als Studienberaterin ist die individuelle, persönliche Beratung von Studieninteressierten sowie die Durchführung von Gruppenformaten (Vorträge, Workshops etc.) zur allgemeinen, hochschulübergreifenden Studienorientierung.
Aktuell ist meine Arbeit vor allem durch einmalige, zeitlich begrenzte Kontakte mit Studieninteressierten gekennzeichnet, d.h. Personen, die die offene Sprechstunde der Zentralen Studienberatung aufsuchen, einen einmaligen Beratungstermin wahrnehmen oder an einer Gruppenveranstaltung teilnehmen.
Außerdem ist der Anteil informativer Inhalte in der persönlichen Beratung relativ hoch, da seitens der Ratsuchenden oftmals Informationsbedarf in Bezug auf Themen wie Zugangsvoraussetzungen, Bewerbungsverfahren oder zu Inhalten bestimmter Studiengänge besteht.
Gleichzeitig zeigt sich bei den Ratsuchenden jedoch auch ein Interesse an einer stärker prozesshaften Begleitung der Studienwahl von der ersten Orientierung bis hin zur konkreten Entscheidungsfindung und an Fragestellungen, die sich auch im systemischen Coaching wiederfinden, wie zum Beispiel die individuelle Standortbestimmung oder die Identifikation eigener Kompetenzen und Ressourcen.
In diesem Rahmen stellt sich die Frage, ob Coaching ein geeignetes Format sein kann um Studieninteressierte auf ihrem Weg zu begleiten.
Seit einigen Jahren lassen sich in den Angeboten verschiedener Hochschulen bereits Coachingformate für Studierende finden, beispielsweise zu Themen wie Studienzweifel oder dem Umgang mit schwierigen Studiensituationen.1
Für Studieninteressierte hingegen existieren seltener vergleichbare Formate, diese richten sich entweder an spezifische Zielgruppen wie etwa das NRW-Programm „Talentscouting“2 oder werden von privaten Berater:innen angeboten.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich daher ein Konzept für ein Coachingformat zur Studienorientierung erarbeiten und der Frage nachgehen, an welche Zielgruppe sich das Coaching richten könnten, wie die Rahmenbedingungen gestaltet sein sollten und welche inhaltlichen Schwerpunkte das Coaching aufweisen könnte.
Außerdem möchte ich anhand von ausgewählten Methoden des systemischen Coachings zeigen, wie diese in dem Format eingesetzt werden können.
Da das Format in die Arbeit der Zentralen Studienberatung eingebettet ist, möchte ich außerdem darauf eingehen, welche Gemeinsamkeiten zwischen Coaching und Beratung bestehen und inwiefern sich beide Formate voneinander abgrenzen lassen.
Die Entwicklung eines solchen Formats ist für mich von besonderem Interesse, da meine Arbeit im Rahmen des Programms „Kein Abschluss ohne Anschluss (KAoA)“ des Landes Nordrhein-Westfalen erfolgt.
In dem Programm werden seit 2012 in Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen wie etwa kommunalen Stellen, der Agentur für Arbeit, Kammern und Bildungsträgern Maßnahmen zur kontinuierlichen beruflichen Orientierung für Schüler:innen ab Klasse 8 entwickelt und umgesetzt.
Auch hier spielt die Idee der Studien- und Berufswahl als Prozess somit eine wichtige Rolle.
Konzeptentwurf für ein Coaching zur Studienorientierung
Zielgruppe und Rahmenbedingungen
Das Coaching findet als Angebot der Zentralen Studienberatung statt, die sich im Bereich der Studienorientierung an Schüler:innen der Oberstufe3 sowie Studieninteressierte, die bereits ihr Abitur absolviert haben, richtet.
Demnach beziehe ich mich bei der Entwicklung des Formats ebenfalls auf diese Zielgruppe.
Ziel ist es, Personen mit einem grundlegenden Interesse an einem Studium in unterschiedlichen Orientierungsstadien mit Hilfe systemischer Coachingmethoden zu begleiten und dabei zu unterstützen, den für sich passenden Weg zu finden und zu gestalten.
Das Coaching ist auf mehrere Sitzungen angelegt, wobei die Klient:innen selbst entscheiden, wie viele Sitzungen sie in Anspruch nehmen möchten.
Sie werden in der ersten Sitzung auf diese Möglichkeit hingewiesen, bei mehreren Sitzungen findet außerdem ein regelmäßiger Abgleich im Rahmen der Anliegen- und Auftragsklärung sowie des Wrap-Up am Ende der Sitzung statt.
Das Format unterscheidet sich somit von den bisherigen Beratungsformaten, die häufig auf die einmalige Bearbeitung eines Themas angelegt sind. Insgesamt können maximal sechs bis sieben Termine vereinbart werden, wobei nach einiger Zeit evaluiert werden soll, wie viele Sitzungen von den Klient:innen durchschnittlich genutzt werden, sodass der Rahmen gegebenenfalls noch angepasst werden kann.
Interessierten soll die Anmeldung über ein Kontaktformular auf der Webseite der Zentralen Studienberatung ermöglicht werden.
Dort werden auch die Rahmenbedingungen sowie mögliche Ziele und Inhalte des Coachings erläutert, sodass für die Klient:innen bei der Anmeldung Transparenz besteht, was sie in dem Format erwartet.
So kann auch die Nachfrage gesteuert und vermieden werden, dass sich Personen anmelden, für deren Anliegen andere Angebote (zum Beispiel eine telefonische Kurzberatung oder Angebote der Fachstudienberatungen) geeigneter wären.
Nach der Anmeldung erfolgt ein kurzes telefonisches Vorgespräch, in dem noch einmal der Rahmen geklärt wird und die Möglichkeit besteht, die Klient:innen kennenzulernen und sich einen ersten Eindruck von möglichen Themen zu verschaffen.
Dabei wird auch ein Termin für das erste Gespräch vereinbart.
Inhaltliche Schwerpunkte
Entsprechend der breiten Zielgruppe des Coachings können auch die Themen der Klient:innen vielfältig sein und sich auf unterschiedliche Phasen der Studienorientierung beziehen.
Mögliche Themenfelder können beispielsweise sein:
• Eigene Standortbestimmung in Bezug auf die Studienwahl:
Wo stehe ich gerade in meinem Orientierungsprozess?
In welche Richtung möchte ich mich orientieren?
Kommt ein Studium für mich in Frage?
Wie möchte ich meinen weiteren Weg gestalten?
• Was ist mir für meine Studienwahl wichtig?
Welche meiner Interessen, Werte und Bedürfnisse spielen für mich eine wichtige Rolle bei der Wahl eines Studiengangs?
• Identifikation eigener Ressourcen:
Wo liegen meine eigenen Stärken und Kompetenzen?
Wie kann ich diese für meine Studienwahl nutzen?
• Identifikation externer Ressourcen:
Wie sehen mich Personen in meinem Umfeld?
Wer kann mich von der ersten Orientierung bis zur Umsetzung meines Studienwunsches unterstützen?
• Entscheidungsfindung:
Wie kann ich eine Entscheidung treffen?
Wie kann ich Methoden nutzen, die mich bei der Entscheidungsfindung unterstützen?
Entsprechend den Grundsätzen systemischen Coachings gibt der Coach keine Lösungen vor, sondern begleitet die Klient:innen ergebnisoffen bei der Erarbeitung eigener Lösungen und unterstützt durch den Einsatz geeigneter systemischer Fragetechniken und Methoden.
Durch den zeitlichen Rahmen und die inhaltliche Ausrichtung des Coachings können auch weitere umfangreichere Themen Platz finden, die in der (einmaligen) Beratung von Studieninteressierten je nach Umfang nur begrenzt bearbeitet werden können.
So lässt sich beispielsweise beobachten, dass eine seit einigen Jahren steigende Zahl von sehr ausdifferenzierten und spezialisierten Studiengängen zu Unsicherheiten bei Studieninteressierten führen kann, die „richtige“ Entscheidung für sich zu treffen.
Im Rahmen des Coachings kann diese Unsicherheit thematisiert und die Stärkung der Selbstwirksamkeit in Bezug auf die eigene Entscheidungsfindung gefördert werden.
Einsatz systemischer Methoden im Coaching von Studieninteressierten
Wesentliches Merkmal des Coachings ist, neben der Bereitstellung eines geeigneten Rahmens sowie der Identifikation möglicher Themenbereiche, auch der Einsatz systemischer Fragetechniken und Methoden.
Im Folgenden möchte ich daher auf einzelne Methoden eingehen und anhand von Beispielen erläutern, wie diese in einem Coaching zur Studienorientierung eingesetzt werden können.
Systemische Frage- und Gesprächstechniken
Kernstück des Coachings ist der Einsatz systemischer Frage- und Gesprächstechniken.
Diese können dazu beitragen, Ressourcen der Klient:innen zu aktivieren, Sichtweisen auf ein Problem zu verändern, neue Perspektiven mit einzubeziehen, Ziele zu formulieren und so die Klient:innen in einen Zustand zu versetzen um ihr Problem zu lösen.
Somit bieten sich auch in der Arbeit mit Studieninteressierten vielfältige Möglichkeiten um diese einzusetzen.
Skalierungsfragen
Skalierungsfragen ermöglichen zum einen die eigene Standortbestimmung, indem die Klient:innen eine Zielvorstellung definieren und mit Hilfe einer Skala erörtern, wo sie sich gegenwärtig auf dem Weg zur Zielerreichung befinden.
Zudem besteht anhand der Skala die Möglichkeit zu reflektieren, welche Schritte bereits geschafft wurden und welche Schritte zur weiteren Zielerreichung angegangen werden können (vgl. Girsberger, 2012, S. 9).
Vor allem für Schüler:innen ist die Studienwahl oftmals eine der ersten größeren Entscheidungen, die sie treffen und die großen Einfluss auf ihre weitere Lebensplanung hat.
Dementsprechend wird die Studienwahl vor allem zu Beginn als großes, schwieriges Ziel wahrgenommen und es kommt häufiger vor, dass Studieninteressierte nicht wissen, wo sie ansetzen sollen um dieses Ziel zu erreichen.
Skalierungsfragen können dabei helfen, das eigene Ziel zu formulieren, kleine, realistische Handlungsschritte und Etappen auf dem Weg zum Ziel festzulegen und so die Klient:innen zu aktivieren.
Zudem lässt sich häufiger beobachten, dass Studieninteressierten nicht bewusst ist, welche Schritte sie bereits auf dem Weg zur Studienentscheidung gegangen sind (zum Beispiel, an welchen schulischen Veranstaltungen zur beruflichen Orientierung sie bereits teilgenommen haben). Skalierungsfragen helfen dabei, diese Schritte bewusst zu machen, zu reflektieren und auszuwerten, welchen Beitrag diese bereits zur eigenen Orientierung geleistet haben.
Zudem können im Anschluss an die Standortbestimmung weitere nächste Schritte geplant werden, zum Beispiel der Besuch von Schnuppervorlesungen oder das Einholen weiterer Informationen zu einem bestimmten Studiengang.
1 Beispiele sind das Studierendencoaching der Hochschule Bochum (https://www.hochschulebochum.de/zsb/uebersicht/studierendencoaching/) oder auch die 360°-Beratung der Universität zu Köln (https://www.zsb.uni-koeln.de/360grad)
2 Siehe auch https://www.nrw-talentzentrum.de/talentscouting/
3 In Nordrhein-Westfalen entspricht dies den Klassenstufen 10-12 bzw. 11-13 (Einführungsphase, Qualifikationsphase 1 und Qualifikationsphase 2)