Coaching für trauernde Angehörige

behutsam zurück ins eigene Leben finden

Abschlussarbeit von Vanessa Kunz, als PDF lesen


Einführung

Werden, Sein, Vergehen sind die Prozesse des Lebensrades. 

Leben und Sterben sind unmittelbar miteinander verbunden.

Im Laufe unseres Lebens gehen wir Beziehungen ein und leben sie mit allem, was dazu gehört – den Höhen und Tiefen, den Licht- und Schattenseiten, den Herausforderungen und Chancen.

Wir leben sie in verschiedenen Rollen – als Eltern, Ehepartner, Freunde, Bekannte, Verwandte, Kollegen etc. – mit unterschiedlichen Ansichten und Vorstellungen, Werten und Prinzipien, Erwartungen und Haltungen.

Die gemeinsam erlebte Zeit prägt uns, schafft Bilder, Emotionen, Erinnerungen.

Sie sind das, was bleibt, wenn ein Mensch stirbt – sei es durch eine lange oder kurze Krankheit, einen Unfalltod oder Selbstmord, plötzlich und unvermittelt oder in absehbarer Zeit.

Sie sind das, was noch da ist – oft unsichtbar für manch Außenstehenden, wenn im Kopf, Herzen und tief in der Seele des zurückgelassenen Menschen verankert –, und gleichzeitig sichtbar und allgegenwärtig in dem, was der geschiedene Mensch von sich hinterlässt:

Spuren (s)eines Lebens.

Was kommt, ist die Trauer als Antwort der Seele auf diesen Verlust mit all ihren vielfältigen Facetten und Emotionen. Da sind vor allem Verzweiflung, Taubheit, Erstarrung, Schock, Panik, Angst, Hilflosigkeit, Schmerz, Wut.

Diese Emotionen haben alle ihre Daseinsberechtigung und sind von elementarer Bedeutung im jeweils individuellen Trauerprozess.

Sie müssen er- und gelebt, also zugelassen werden dürfen, damit am Ende des Trauerprozesses eine Heilung und Wandlung eintreten kann, eine Zuversicht, dass das Leben weitergeht, wenn auch in veränderter Form.

Um trauernde Menschen verstehen, aufmerksam und einfühlsam sowie individuell begleiten bzw. coachen zu können, ist es unabdingbar, sich im Vorfeld sowohl allgemein mit Trauer als auch mit eigener erlebter Trauer auseinander gesetzt zu haben.2

Der folgende Abschnitt soll beleuchten,

– was Trauer ist,

– welche gängigen Trauermodelle es gibt,

– was diese auszeichnet bzw. voneinander unterscheidet und

– wie sich der Trauerprozess gestaltet.

Trauer – was ist das eigentlich?

Ein gebrochenes Herz ist nicht das Ende. Wenn wir etwas verlieren, das wir von ganzem Herzen lieben, kommt nicht das Ende, sondern die Trauer. 3

(Mechthild Schroeter-Rupieper)

Das Wort Trauer leitet sich ursprünglich aus dem Althochdeutschen trure ab (mittelhochdeutsch trüren, niederländisch treuren) und bedeutet „den Kopf sinken lassen“ oder „die Augen niederschlagen“ (als Zeichen der Trauer).4

Trauer gehört wie das Sterben zum Leben.

Wie alle Gefühle entsteht auch die Trauer in einem Beziehungskontext und ist Ausdruck einer ganz bestimmten Beziehungserfahrung, die durch den Verlust provoziert wird.

Trauer ist Ausdruck der früheren, bis zum Tod des geliebten Menschen währenden Beziehung sowie der durch den Tod radikal veränderten Beziehung.5

Trauer ist eine natürliche und lebenswichtige Fähigkeit, einen Verlust zu bewältigen. Sie ist individuell, wie der Trauernde selbst. Trauer(n) braucht Raum und Zeit.

Die Komplexität des Trauerprozesses und verschiedene gängige Trauermodelle werden – für ein tiefergehendes Verständnis von Trauer – im Folgenden vorgestellt.

Übersicht gängiger Trauermodelle

Elisabeth Kübler-Ross – Trauern in fünf Phasen (bei Sterbenden)

Die schweizerisch-amerikanische Psychiaterin war eine der ersten, die sich mit dem komplexen Prozess des Trauerns befasst hat. Im Fokus für sie standen Menschen, bei denen eine unheilbare Krankheit diagnostiziert worden war.

Sie führte zahlreiche Gespräche mit und Begleitungen von sterbenskranken Menschen jeden Alters und Herkunft durch.

Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse schrieb sie in ihrem Buch „Interviews mit Sterbenden“ nieder. Daraus leitete sie fünf Phasen des Trauerprozesses ab.

Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf Trauer bei Verlust von Angehörigen basiert, werden die Phasen nur aufgelistet und nicht – wie bei den anderen unten aufgeführten Modellen – näher beschrieben:6

    1.  Schock und Verleugnung
      (Nicht-Wahrhaben-Wollen, Verneinung der Tatsache)
    2. Zorn und Einsetzen der Gefühle
      (Auflehnung, Fragen und Aggressionen)
    3. Verhandlung
      (durch Kooperation Hoffnung auf Belohnung, wie eine längere Lebensspanne und Freiheit von Schmerzen)
    4. Depression, depressive Verstimmung, Niedergeschlagenheit
    5. Zustimmung
      (Annahme und Abkopplung von der Umwelt)

1970 legten die britischen Trauerforscher John Bowlby und Colin Murray Parkes ein vierphasiges Modell vor, das 1982 von der Schweizer Psychologin Verena Kast mit dem Modell von Kübler-Ross verschmolzen und – unter Einbezug von Elementen der analytischen Psychologie – zu einem ebenfalls vierphasigen Modell verarbeitet wurde. 1972 hatte [der deutsche evangelische Theologe] Yorick Spiegel bereits ein psychoanalytisch orientiertes Modell der Trauerphasen [entwickelt].7

Verena Kast – Vier Phasen der Trauer8

Das Vier-Phasen-Modell der Trauer von Kast (Nicht wahrhaben wollen, aufbrechende Emotionen; suchen, sich finden, sich trennen; neuer Selbst- und Weltbezug) gilt als eine der wichtigsten Grundlagen für das Verständnis des Trauerprozesses, den Menschen nach einem Verlust durchleben.

1. Nicht wahrhaben wollen

Unmittelbar nach dem Tod eines geliebten Menschen fühlen sich die Hinterbliebenen alleine, verlassen und isoliert. Auf einmal ist alles anders. Verzweiflung, Hilf- und Ratlosigkeit herrschen vor. Das Geschehene wird noch nicht erfasst, der Verlust verleugnet.

Viele Menschen sind wie erstarrt, verstört und völlig apathisch. Andere geraten außer Kontrolle, brechen zusammen. Der Tod hat etwas Überwältigendes9, er bricht wie ein Schock in die Realität ein.

Für Außenstehende kann es schwer sein, diese Starre auszuhalten, aber für den Trauernden ist die Phase wichtig. Die Psyche schützt sich zunächst vor dem Trauma des Verlustes, indem Gefühle unterdrückt werden. Der Trauernde braucht vor allem praktische Unterstützung im Alltag und bei allem, was im Zusammenhang mit dem Todesfall zu regeln ist.10

Die erste Phase ist meist kurz, sie dauert ein paar Tage bis wenige Wochen. Aber je unerwarteter der Tod auftritt, umso länger währt die Bewältigung dieser ersten Phase.11

2. Aufbrechende Emotionen

Die zweite Phase ist geprägt von vielfältigen Emotionen. Es werden vor allem Trauer, Wut, Freude, Zorn, Angstgefühle und Ruhelosigkeit erlebt. Der Schmerz über den Verlust ist von starker, fast überwältigender Intensität. Die Verarbeitung dieser Phase ist besonders aufreibend, aufwändig und emotional belastend.12

Der konkrete Verlauf der Phase hängt stark davon ab, wie die Beziehung zwischen dem Hinterbliebenen und dem Verlorenen war.13 Oft wird das eigene Handeln stark hinterfragt und Schuldgefühle kommen auf.14

Viele trauernde Menschen werfen sich vor, zu wenig Zeit mit der verstorbenen Person verbracht zu haben oder dass sie Hilfe unterlassen hätten. Je nach Todesumständen sind insbesondere solche Selbstvorwürfe oder die Wut auf Dritte (z.B. Unfallverursacher, Helfer, Rettungsdienst, Ärzte, Polizei) im Fokus der trauernden Personen.15

Der Trauernde braucht Menschen, die für ihn da sind, die seine emotionalen Ambivalenzen bedingungslos mit ihm zusammen aushalten, ohne diese oder ihn selbst zu bewerten oder vermeintlich gute Ratschläge zu geben.16

Die Dauer dieser Phase lässt sich nur schwer abschätzen, man spricht etwa von ein paar Wochen bis zu mehreren Monaten.17


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Anmerkungen und Quellen

2 Anmerkung der Verfasserin: Hierzu gibt es vielfältige (ehrenamtliche) Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bei verschiedenen Institutionen oder eingetragenen Vereinen. Für weiterführende Informationen sei auf die Website des Bundesverband Trauerbegleitung e.V. verwiesen (https://bv-trauerbegleitung.de).
3 Schroeter-Rupieper, Mechthild (2020), In deiner Trauer getragen, Vorwort
4 https://hospiz-aktuell.de/media/pages/netzwerke/arbeitskreis-trauer-berlin/39e3a0c76a-1638787930/tatsachenueber-trauer.pdf und https://www.duden.de/rechtschreibung/trauern (beide abgerufen am 18.06.2022)
5 Kachler, Roland (2019), Hypnosystemische Trauerbegleitung, S. 59
6 https://media.sodis.de/open/omega/Sek_I/Schoener/Realitaet/6IT-Trauer-mehr_als_ein_Gefuehl.pdf (abgerufen am 17.06.2022)
7 https://de.wikipedia.org/wiki/Trauer (abgerufen am 12.06.2022)
8 Kast, Verena (2020), Trauern, ab S. 69 ff.
9 https://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/wir-fuer-sie/begleiten/trauer-und-tod/trauerphasen/verea-kast (abgerufen am 17.06.2022)
10 https://media.sodis.de/open/omega/Sek_I/Schoener/Realitaet/6IT-Trauer-mehr_als_ein_Gefuehl.pdf (abgerufen am 17.06.2022)
11 https://de.wikipedia.org/wiki/Trauer (abgerufen am 12.06.2022)
12 https://condolere.ch/trauerbewaeltigung/ (abgerufen am 19.06.2022)
13 https://de.wikipedia.org/wiki/Trauer (abgerufen am 12.06.2022)
14 https://condolere.ch/trauerbewaeltigung/ (abgerufen am 19.06.2022)
15 ebd. (abgerufen am 19.06.2022)
16 https://media.sodis.de/open/omega/Sek_I/Schoener/Realitaet/6IT-Trauer-mehr_als_ein_Gefuehl.pdf (abgerufen am 17.06.2022)
17 https://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/wir-fuer-sie/begleiten/trauer-und-tod/trauerphasen/verea-kast (abgerufen am 17.06.2022)

Graphik

vier Phasen Modell nach Verena Kast: https://condolere.ch/trauerbewaeltigung/