Wie Elternsein den Blick auf sich und die Welt verändert
und wie systemische Coaching-Techniken Eltern und
Kinder unterstützen können
Abschlussarbeit von Ingola Stövesand, als PDF lesen
Motivation und Ziel dieses Arbeitsthemas
„Haben Sie Kinder?“ Jeder kennt diese Frage, doch nur Eltern wissen, was das „Ja, habe ich.“ in all seiner ganzen Dimension bedeutet, für das eigene Leben, die Sicht auf die Umgebung und für die Kinder selbst. Und je mehr Kinder man hat und je älter diese Kinder werden, desto umfassender ist das Gefühl für dieses „Ja.“ Ich habe drei Kinder zwischen 13 und 18 Jahren und beginne zu ahnen, wie viele Dimensionen dieses Gefühl noch annehmen kann. Daher bin ich unendlich dankbar, den Weg zum Coaching mit all seinen Ideen und Möglichkeiten gefunden zu haben.
Kinder zu haben, verändert das eigene Leben ab der ersten Sekunde. Wenn man sich selbst ungefragt zurückstellt, weil „jemand“ anderes wichtiger ist als man selbst. Und der ist häufig noch nicht einmal besonders kooperativ. Wenn man sich immer wieder um alles und nichts Sorgen macht, weil sich die Welt da draußen auf einmal erschreckend gefährlich präsentiert. Wenn man nachts wach liegt und um Entscheidungen ringt oder Reaktionen hin und her wälzt. Wenn man permanent mit Neuem konfrontiert wird, nichts wirklich verlässlich erscheint und man doch einfach nur „richtig“ entscheiden möchte.
Elternsein kommt in der Regel mit einem riesengroßen Gefühlskosmos daher: Liebe genauso wie Angst, Nähe genauso wie Distanz, Vertrauen genauso wie Verlust, Erfüllung genauso wie Ohnmacht, Respekt genauso wie Wut oder Ohnmacht. Keiner kann uns derart an unsere eigenen Grenzen treiben, wie unsere Kinder. Ihre Begleitung bringt eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich, die wir Eltern irgendwie bewältigen müssen. Mal klappt es gut, mal besser, mal gar nicht. Jedes Kind ist anders, jeder Vater, jede Mutter. Familien- und Gesellschaftsstrukturen kommen noch oben drauf. Lebensstandards, Optionen, Zwänge. Komplexität pur. Und ein Handbuch? Gibt es auch nicht. Herzlichen Glückwunsch. Elternsein ist echtes Ausdauertraining mit vielen Bergen und Tälern, mit Lernkurven und Sackgassen. Die guten Nachrichten vorab: Es geht so gut wie allen Eltern so. Es gibt immer mehr als nur den einen Weg. Und es gibt nur selten falsch oder richtig. Es gibt viel mehr anders.
Wir können uns jetzt durch die Regalmeter an Ratgeber-Literatur lesen und Kindererziehung-leichtgemacht- Kurse absolvieren. Alles, was uns hilft. Alles, was Klarheit für uns und unser spezielles Setting schafft. Was uns in unserem Tun stärkt, damit unsere Kinder irgendwann zu uns sagen können: „Ich danke Dir von ganzem Herzen, daß Du immer für mich da warst, an mich geglaubt hast, mich bestärkt hast, meinen eigenen Weg zu gehen, meine Geschichte selbst zu schreiben.“ Ein Traum. Oder? Auf jeden Fall ein Sehnsuchtsziel – und kein leichter Weg. Aber wir sollten alle Möglichkeiten nutzen, um diesen Satz irgendwann zumindest in Teilen zu hören zu bekommen. Und sei es nur durch einen dankbaren Blick unserer Kinder, der uns tief berührt.
NLP- als auch Systemische Coaching-Ausbildungen bieten eine beeindruckende Vielfalt an Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, damit wir uns und unsere Kinder für ein erfülltes Leben befähigen können.
Diese Arbeit soll einen Einblick und eine Auswahl von Möglichkeiten präsentieren, die ich in meinem direkten Umfeld als besonders hilfreich erfahren habe. Die folgenden Seiten repräsentieren gleichzeitig meine persönlichen Folgerungen und Schlüsse aus mehreren Jahren Beschäftigung mit Coaching-Literatur und -Angeboten sowie zwei Coaching-Ausbildungen. Ach ja, und über 18 Jahren Elternsein. Es gibt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit oder universale Umsetzbarkeit. Es soll keine pädagogische Abhandlung zu Lerntheorien, Altersabstufungen oder ähnlichem werden. Diese Arbeit soll lediglich die universalen Möglichkeiten des systemischen Coachings aufzeigen, wie wir uns und unsere Kinder in dem chaotisch-trubeligen Familienalltag immer wieder in unsere Kraft bringen und dort halten können. Wie wir uns und unsere Kinder im Miteinander seelisch stabil und gesund halten können, denn das ist aus meiner Sicht eine absolute Grundbedingung für ein „gutes Leben“. Dabei sollte sich nach meinem Verständnis kein Elternteil als Coach für die eigenen Kinder versuchen. Durch die systemische Verstrickung inner- halb der Familie können Eltern nur sehr bedingt die Rolle des Coaches einnehmen, denn die verlangt Neutralität und Ausgewogenheit und das ist als Teil des Systems so eine Sache. Aber Eltern können ihr Denken und Handeln im Elternsein mit Hilfe bestimmter Techniken ständig auf den Prüfstand heben, um liebevoll, klar und selbstwirksam entscheiden, handeln und unterstützen zu können. Und so sich selbst und ihren Kindern die Kompetenzen und Stärken zu vermitteln, die sie für ein erfülltes Leben brauchen werden.
Grundbedürfnisse des Menschen
Viele Dinge, die wir Eltern für unsere Kinder tun, sind fraglos gut gemeint. Aber deswegen nicht unbedingt gut. „Ich will doch nur Dein Bestes.“ Dieser typische Eltern-Satz ab der Kleinkind-Zeit ist in der Regel gut gemeint. Und hat doch bei vielen und vielem genau das Gegenteil bewirkt. Warum? Weil er häufig Entscheidungen setzt und damit eigene Erfahrungen des Kindes vorwegnimmt. Weil er Handlungsräume und -motivationen zur Seite wischt und gemachte (eigene) Erfahrungen als wertvoller einstuft als noch zu machende. Weil er ein Grundbedürfnis des Menschen und damit auch des Kindes ignoriert. Weil er langfristig Selbst-Un-Wirksamkeit erzeugen kann. Und das ist definitiv nicht gut.
Seelische Gesundheit und Ausgewogenheit hat ein paar Grundpfeiler, ohne die es einfach nicht geht und deren Stabilität schon in frühester Kindheit beeinflusst wird. Wir sprechen hier nicht von kindlichen Wunschlisten oder Befindlichkeiten. Wir sprechen von etwas absolut Fundamentalem für jede Form von Großwerden: Unsere Grundbedürfnisse. Deren Befriedigung ist unabdingbar für die seelische Gesundheit jedes Menschen und zu keiner Zeit verhandelbar. Sie hat direkten Einfluss auf unser biochemisches Gleichgewicht durch die Ausschüttung bestimmter Substanzen, wie z.B. Dopamin, etc. und damit über „Alles in Ordnung.“ oder „Mir geht’s nicht gut.“ entscheidet.
Eine Verletzung unserer Grundbedürfnisse kann folgenschwere Auswirkung auf Denken, Handeln und Fühlen haben und das u.U. ein Leben lang. Je tiefgreifender und andauernder die Verletzung erfolgt (ist), umso schwieriger ist sie sicht- und neu bewertbar zu machen. Eltern sollten also ein hohes Interesse daran haben, die Grundbedürfnisse ihrer Kinder in ihren Ausprägungen zu erkennen und zu befriedigen. Das Blöde ist (wer hätte es gedacht), daß die Grundbedürfnisse schön versteckt im Unterbewussten residieren und das Bewusstsein leider keine Telefonnummer bekommen hat. Wir müssen also versuchen, sie an Verhalten, Denk- und Sprachmustern zu erkennen, zu interpretieren und passend darauf reagieren. Denn nur dann können wir an der Ursache (Bedürfnis) arbeiten und nicht nur am Symptom (Verhalten). Das Thema hinter dem Thema finden. Das ist Ziel & Ausgangsbasis in einem.
In Kurzform lassen sich die menschlichen Grundbedürfnisse1 wie folgt beschreiben:
- Selbstwert: Das Fundament unseres Lebens
Ein positives Selbstwertgefühl gibt uns das Gefühl, unser Leben jederzeit meistern zu können. Wir haben einen großen Glauben an uns selbst, an unser Können, unsere Energie und das auch in schwierigen Zeiten. Wir wissen, daß und wie wir klarkommen, auch wenn nicht alles nach unseren Wünschen geschieht. „Ich bin nicht perfekt, doch ich bin in Ordnung, so wie ich bin.“ ist die Grundhaltung, die wir bestenfalls entwickeln konnten und die uns durch das Leben tragen wird. Verlässliche Fürsorge, Liebe und Unterstützung sind hier die wichtigsten Faktoren. Verletzungen dieses Bedürfnisses können Depressionen, Ängste oder andere stark einschränkende Störungen auslösen. - Bindung: Die anderen in unserem Leben
Wir sind soziale Wesen und brauchen unser Leben lang andere Menschen, um zu überleben und um uns wohlzufühlen. Isolationshaft ist nicht umsonst in fast jeder Kultur auf dieser Erde die schlimmste Form der Bestrafung. Die Bindungserfahrungen, die wir im Kindesalter machen, können unser gesamtes weiteres Beziehungsleben bestimmen. Im besten wie im schlechtesten Fall. Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit, Aufmerksamkeit, liebevolles Kümmern in guten wie in schlechten Zeiten werden in jeder Forschungsrichtung als absolut fundamental für die seelische Gesundheit eingestuft - Kontrolle und Autonomie: Der Boss sind wir
Menschen wollen zu jeder Zeit die Kontrolle über ihr Tun haben. Macht- und Hilflosigkeit kann lebensbedrohlich für uns sein. Das Gefühl der Ohnmacht, wenn permanent über unseren Kopf hinweg entschieden und gehandelt wird, macht uns zum Spielball und entzieht uns Energie. Energie, die wir dringend für ein selbstbestimmtes, selbstwirksames Fühlen, Denken und Tun benötigen. „Erlernte Hilflosigkeit“2 im Sinne von „Ich kann ja sowieso nichts tun.“ bringt uns in eine dauerhafte Opfer-Haltung, bei der Veränderungsnotwendigkeit ausschließlich im Außen gesucht wird, denn man selbst hat ja schon früh gelernt, daß man selbst nichts tun kann. - Lustgewinn und Unlustvermeidung: Alles, was uns (vermeintlich) guttut und wenig Aufwand erfordert
Jeder kümmert sich nur um sich selbst. Nicht nur, aber auch. Und das ist wichtig und richtig. Denn damit schützen wir uns selbst und sichern unser Überleben. Schwierig wird es dann, wenn wir unseren Lustgewinn vor alles und jeden anderen setzen, und wenn er schnell, einfach und andauernd, wenn nicht sogar ausschließlich sein muss. Dann ist der Weg in die Abhängigkeit schnell verfügbarer Drogen (Alkohol, Zigaretten, Essen, ..) und Ablenkungen (Videospiele, „soziale Medien“, Shopping, sexuelle Abenteuer…) mit hoher Dopamin Ausschüttungen nicht weit. Vielfach werden wir dann von dieser Belohnungsart kontrolliert, statt daß wir sie kontrollieren.
Unsere Grundbedürfnisse treten auch gerne mal im Team auf und geraten hier häufig in Zielkonflikte. Nähe- und Autonomiebedürfnis im Schulterschluss, unterstützt von hormonellem Überschuss sind gerade in der Teenagerzeit eine hochemotionale Kombination für alle Beteiligten. Wenn wir als Eltern versuchen, das Bedürfnis hinter den geäußerten Befindlichkeiten und dem gezeigten Verhalten zu erkennen, haben wir zumindest eine gute Chance etwas Notwendiges gut und angemessen zu bedienen. Denn das gezeigte Verhalten fordert einfach nur die Befriedigung des Grundbedürfnisses ein. Und verfolgt damit eine mehr als angebrachte und gute Absicht für uns. Das schweineteure Paar Schuhe/Jeans/… muss unbedingt und sofort sein? Geht es noch? Weil alle in der Clique die jetzt haben? Weil die Tochter/der Sohn dazugehören will? Weil die völlig überteuerten Klamotten eine sichtliche Gruppenzugehörigkeit (Grundbedürfnis Bindung)schaffen, die für mein Kind jetzt gerade wichtig ist? Mmh. Es braucht kein schnelles „Ach, klar, dann kaufe ich Dir die natürlich.“ sein. Das Kind kann aktiv an der Lösung mitarbeiten, sobald es verstanden hat, daß Geld in fast jedem Haushalt begrenzt ist und Konflikte durch Verhandlungen gelöst werden können. Erarbeitetes übergibt Kontrolle und damit die Überzeugung, selbst etwas tun zu können, wirksam für sich und seine Bedürfnisse sorgen zu können. Zusätz- lich schafft es Kooperations- bereitschaft und – fähigkeit. Das Kind könnte vielleicht die nächsten Wochen bestimmte Tätigkeiten im Haushalt übernehmen? Oder wie könnte die Zugehörigkeit auch ohne die Schuhe hergestellt werden? Das wäre doch eine von mehreren denkbaren Lösungen.
Wertvolle Begleitung in und durch das eigene Leben
Wie vielleicht schon bemerkt, wird der Begriff Erziehung hierr nicht verwendet. Denn Kinder wachsen auch dann auf, wenn man nicht (wohin auch immer) an ihnen zieht. Sie werden bestenfalls in eine Familie geboren und werden dort die ersten Jahre behütet, begleitet und beschützt und in ihren individuellen Fähigkeiten und Interessen unterstützt. In dieser Zeit, ihrer Kindheit, werden sie ihre ganz persönliche Schablone, ihr Schema entwickeln, mit dem sie fortan alles in ihrem Leben einsortieren. Von ganz entscheidender Bedeutung ist dabei, daß ihre Grundbedürfnisse erkannt und erfüllt werden. Glaubenssätze, d.h. innere Überzeugungen, die bewusst oder unbewusst bis weit ins hohe Erwachsenenalter das Denken und Handeln des Einzelnen beeinflussen können, werden häufig in dieser Zeit gebildet. Die in der Familie bewusst oder unbewusst gelebten Werte, Bewertungs- und Handlungsmuster werden verinnerlicht und prägen das Fühlen und Denken des Kindes auf lange Zeit. Und hier geht es um das ganz alltägliche Miteinander: Wie gehen die einzelnen Familienmitglieder miteinander um?
Liebevoll, wertschätzend und respektvoll oder verletzend und abschätzig? Wie verlässlich, ehrlich und zugewandt verhalten sich die Familienmitglieder untereinander? Werden Konflikte und Probleme aus- bzw. angesprochen und gelöst oder totgeschwiegen? Werden Fehler zugegeben und ehrliche Entschuldigungen zeitnah adressiert? Wird fühlbar und bedingungslos geliebt, versorgt, gekümmert und Freude gebracht ohne daß dafür eine Gegenleistung erbracht werden muss? Werden die einzelnen Familienmitglieder in Entscheidungen involviert und erarbeitet man gemeinsam für alle tragfähige Lösungen oder wird für sie über ihren Kopf entschieden? Werden Handlungs-motivationen aufgemacht und unterschiedliche Perspektiven und Betrachtungsweisen im Sinne eines Reframings aufgezeichnet? Verfügen die einzelnen Familienmitglieder über gesunde und gut funktionierende Bewältigungsstrategien in unterschiedlichen Kontexten? Wieviel Verständnis wird für andere Sichten und Wege geschaffen? Wie wird Arbeit bzw. Beruf von den Eltern erlebt? Als Belastung oder als Erfüllung? Wie hoch ist die Bereitschaft, die eigene Komfortzone zumindest teilweise zu verlassen und sich auf Neues einzulassen? Wird Lernen und Veränderung positiv bewertet oder als anstrengend und unnötig? Wird Hilfe und Unterstützung für andere als selbstverständlich angesehen und aktiv gelebt oder wird nur eingefordert? Die Antworten auf all diese Fragen leben Familien im täglichen Miteinander und formen im Laufe der Jahre die Schablone, das Schema, die Sicht auf die Welt ihrer Kinder. Genauso wie die Strategien, mit denen man seinen sozialen Kontakten als auch seinen Herausforderungen begegnen kann.
Auch Sie können durch eine Systemische Coaching Ausbildung Ihr Alltag einfacher gestalten.
Quellen bist hierher
1 Nach Sabine Wery von Limont (2018): Das geheime Leben der Seele. München. Seite 85ff.
2 Martin Seligmann (2010): Erlernte Hilflosigkeit. München.
3 Prince EA: „What is school for?“ und „I sued the school system“ auf Youtube. Zuletzt aufgerufen am 20. April 2020.
4 Über das Veränderungspotential digitaler Innovation siehe z.B. Christoph Keese (2016): Silicon Germany. Wie wir die digitale Transformation schaffen. Oder Christian Kromme (2017): Humanification. Go digital. Stay human. La Vergne/USA. Kromme geht noch stärker auf die menschlichen Auswirkungen ein. So wie der TEDTalk von Andy Wible: Strengthening Soft Skills.