Chancen und Risiken im Online-Coaching

Die Arbeit mit dem Inneren Team im Online-Coaching

Abschlussarbeit von Lisa Jiménez Ullrich, als PDF lesen


Begriffserklärungen

Was ist Coaching, was nicht? Was meint systemisches Coaching?

Unter Coaching verstehe ich eine zeitlich begrenzte, ziel- und situationsorientierte, auf Augenhöhe stattfindende Begleitung, bei der ein*e Coach ein*e Coachee auf dem Weg zum gewählten Ziel unterstützt.

Während bei der* dem Coach maßgeblich die Verantwortung für die Prozesssteuerung während einer oder mehrerer Coaching-Sitzungen liegt, ist die*der Coachee selbstverantwortlich für die Zielbenennung und Lösungsfindung –

alle grundlegenden Ressourcen und Lösungen liegen laut dem Coaching-Verständnis in der*dem Coachee selbst.

Begriffsabgrenzung

Der große Unterschied zwischen Coach und Berater*in liegt daher darin, dass die*der Berater*in Lösungen kreiert und empfiehlt, während ein*e Coach dies bewusst unterlassen soll – basierend auf dem Verständnis, dass die seitens der*des Coachees selbstkreierte Lösungen zielführender und wirkungsvoller als vorgegebene Lösungen sind.

Im Gegensatz zu Coaches vermittelt ein*e Trainer*in Wissen in einem eher kurzen Zeitraum, ein*e Mentor*in teilt langjährige Erfahrung in einer i. d. R. eher mittel- oder langfristig ausgelegten Beziehung.

Sobald schwerwiegende psychische Probleme oder Krankheiten eine Rolle spielen, sollte stattdessen ein*e Therapeut*in aufgesucht werden, welche*r i. d. R. über eine längere Zeitspanne hinweg und eher ursachen-, statt lösungsorientiert vorgeht.

Systemisches Coaching meint, dass die*der Coachee nicht als alleinstehendes Individuum betrachtet wird, sondern in ihrem*seinem in dem Moment relevante System – auch Organisation, Kontext oder Umfeld genannt.

In einem System, bspw. in einem Familiensystem oder der beruflichen Organisation, stehen die beteiligten Personen in Wechselwirkung zueinander und beeinflussen sich dadurch gegenseitig.

Aufgrund der gegenseitigen Wechselwirkung wird die*der Coachee im systemischen Coaching in Relation zu bestimmten Personen aus ihrem*seinem relevanten Umfeld gesetzt, um die im Fokus stehende Situation ganzheitlicher zu betrachten.

Außerdem kann die *der Coachee erarbeitete Lösungsoptionen in Abhängigkeit von relevanten Personen aus dem jeweiligen System untersuchen und bewerten, da diese Personen mit großer Wahrscheinlichkeit bewusst oder unbewusst Einfluss auf die*den Coachee üben (werden) und eine alleinstehende Betrachtung der*des Coachees unvollständig und daher ggf. nicht zielführend wäre.1

Was ist Online-Coaching und welche Chancen und Risiken birgt es?

Unter Online-Coaching verstehe ich ein Coaching, das nicht persönlich – von Angesicht zu Angesicht im selben Raum –, dafür mithilfe des Internetdienstes und der IT-Technologie in einem virtuellen Raum stattfindet.

Als mögliche Video-Kommunikationstools können als zwei Beispiele von vielen Zoom oder MS Teams herangezogen werden, wahlweise zusätzlich weitere Tools abhängig von der verwendeten Coaching-Methode.

Synonym zu Online Coaching wird u. a. von virtuellem Coaching, Cyber-Coaching oder e-Coaching gesprochen.2

Welche Chancen und Risiken birgt m. E. Online-Coaching im Gegensatz zum persönlichen Coaching?

Chancen

Städteübergreifendes Coaching
Coach und Coachee können an verschiedenen, beliebig weit entfernten Orten dieser Welt sitzen (sofern sie über eine Internetverbindung verfügen).

Räumliche Flexibilität
Coach und Coachee können sich jeweils an (fast) jedem Ort dieser Welt während der Online-Coaching-Sitzung aufhalten – ohne, dass sich die*der jeweils Andere den räumlichen Wünschen anpassen muss.

Auch in Covid-19-Zeiten
Während einer Pandemie, wie sie aktuell weltweit besteht, kann online ein Coaching „auf Abstand“ durchgeführt werden, wodurch keine gesundheitlichen Übertragungsrisiken zwischen Coachee und Coach bestehen.

Zeitliche Flexibilität
Da Anfahrtswege beim Online-Coaching wegfallen, kann das Coaching zeitlich flexibler stattfinden, also unabhängiger von bspw. Tageszeiten, Transportmitteln, und im Notfall einfacher verschoben bzw. nachgeholt werden – was natürlich die Ausnahme sein sollte.

Keine Anreise- oder Raumkosten
Aufgrund der räumlichen Trennung und der wegfallenden Anreisefallen auch eventuelle Kosten bei der Anreise und Raummiete weg – außer die*der Coachoder Coachee hat in der eigenen Wohnung keinen Raum oder keine Möglichkeit, ein Coaching durchzuführen.

Hinterfragung bekannter Methoden und Tools
Die*der Coach kann die bereits aus dem persönlichen Coaching-Kontext bekannten Tools und Methoden hinterfragen, im Online- Rahmen ausprobieren, verändern, weiterentwickeln bzw. bei Bedarf neue kreative Lösungen entwerfen.

Risiken

Internetverbindung, Hard- und Software
Für ein Online-Coaching ist für sowohl Coach als auch Coachee jeweils eine stabile Internetverbindung sowie ein Device, bspw. Laptop oder Handy, und ein Online-Kommunikationstool, z. B. Zoom, essenziell und unumgänglich. Bei nicht-vorhandener oder nicht-stabiler Internetverbindung stellt das Coaching via Telefon eine Alternative dar, bei dem jedoch auf das Videobild und damit auf wichtige Körpersprache der*des Gegenübers verzichtet werden muss.

Beziehungsebene
Die räumliche Trennung kann zu einer weniger tiefen bzw. weniger guten Beziehung zwischen Coach und Coachee führen, was wiederum die Coaching-Qualität und die Lösungsfindung negativ beeinflussen kann.

Eingeschränkte Sicht auf das Gegenüber
Coach und Coachee können die Körpersprache der*des jeweils anderen nur zum Teil lesen, interpretieren und darauf eingehen, da i. d. R. nur der Oberkörper oder ein Teil dessen auf dem Bildschirm sichtbar ist. Gerade für die*den Coach kann dies einschränkend sein, um auf die*den Coachee bestmöglich einzugehen.

Durch eventuell nicht erkannte Körpersprache der*des Coachees, die bspw. Stress zu etwas Gesagtem andeutet, kann die*der Coach wichtige Momente ungewollt verstreichen lassen, was wiederum einen negativen Einfluss auf die Coaching-Qualität haben kann.

Methodische Einschränkung
Nicht alle aus dem persönlichen Coaching bekannten Methoden sind eins zu eins in den virtuellen Raum übertragbar. Bestimmte Methoden aus dem persönlichen Coaching-Kontext können ggf. gar nicht, nicht in derselben Art und Weise oder nur mit eingeschränkter Effektivität im OnlineSetting angewandt werden.

Beispiele können die Aufstellungsarbeit, die Arbeit mit Bodenankern oder wingwave sein.

Was bedeutet die Arbeit mit dem Inneren Team und wozu dient sie?

Da ich in der Coaching-Dokumentation im folgenden Kapitel die Arbeit mit dem Inneren Teams umreiße, möchte ich hier vorab kurz – sicherlich nicht vollständig – erklären, was mit dem sog. Inneren Team gemeint ist.

Das Modell des Inneren Teams, entwickelt durch den Psychologen Friedemann Schulz von Thun, geht davon aus, dass

… jeder Mensch in sich eine innere Vielstimmigkeit trägt, sog. verschiedene innere Anteile oder Teammitglieder, die uns im Sprechen, Handeln und im Aufbau unserer jeweiligen Persönlichkeit bestimmen.

Das Modell zielt auf eine möglichst stimmige Kommunikation und ein „richtiges“ Verhalten ab.

Mit stimmiger Kommunikation meint Schulz von Thun die Stimmigkeit zwischen authentischer sowie identitätsgemäßer und situations- sowie systemgerechter Kommunikation – also dem Einklang von Innen und Außen. Dazu gilt es, die innere Vielstimmigkeit zu verstehen und zur inneren Teamentwicklung fähig zu werden.

Die sechs Lehren vom Inneren Team geben im Folgenden einen Überblick über die wichtigsten Aspekte des Modells:

    1. Die innere Pluralität des Menschen
      Wir haben innere Anteile/ Stimmen/ Teammitglieder in uns, die miteinander, gegeneinander und durcheinander arbeiten können – wie wir es auch von Teams in einer Organisation kennen.
    2. Die kooperative, innere Führung durch das Team-Oberhaupt
      Die innere Führungskraft vertritt unser Ich und hat zur Aufgabe, aus den einzelnen Mitgliedern ein einheitliches Team zu bilden.
    3. Das innere Konfliktmanagement
      Innere Teamkonflikte sind unumgänglich, existenziell notwendig, dafür auch notwendig zu erkennen und zu lösen.
    4. Der Aufbau der Persönlichkeit
      Nicht alle Teammitglieder sind auf der inneren SeelenBühne gleichermaßen vertreten, manche melden sich stärker als andere zu Wort, manche haben wir hinter den Vorhang verbannt, was zu einem gestörten inneren Betriebsfrieden führt.
      Die „innere Teamentwicklung“ hilft, den inneren Betriebsfrieden wiederherzustellen.
    5. Die Variation innerer Mannschaftsaufstellungen
      Zwar neigen wir zur einer typischen Grundaufstellung unserer inneren Mannschaftsmitglieder. Abhängig von der jeweiligen Situation und dem Gegenüber jedoch ändern wir diese spontan und wie von selbst, was uns nicht immer gut gelingt.
    6. Der Gehalt einer Situation und die doppelte Übereinstimmung
      Diese zielt auf eine situationsgerechte Aufstellung der inneren Mitglieder ab, sodass die Stimmigkeit von Innen und Außen erreicht werden kann.

Ein Beispiel für einen inneren Teamkonflikt stellt folgende Situation dar.

Karin erhält ein neues Jobangebot und kann sich nicht entscheiden:

Soll sie den aktuellen, vermeintlich sichereren und bereits bekannten Job behalten oder die Veränderung in einen neuen, scheinbar spannenderen Job mit einer nächsten Karrierestufe wagen?

Und wie soll sie dies im Fall eines Jobwechsels ihrer sehr geschätzten Chefin mitteilen?

Hier könnten sich bspw. die inneren Anteile „die Sicherheitsbedürftige“, „die Ehrgeizige“, „die Wagemutige“, „die Ängstliche“, „die Loyale“ in ihr melden und in einen Teamkonflikt geraten, der sie innerlich blockiert und eine stimmige Entscheidung für sie schwierig oder unmöglich macht.

In einem Coaching kann die*der Coach der*dem Coachee mithilfe der Arbeit mit dem Inneren Team helfen, um z. B.

    1. Entscheidungen zu treffen,
    2. Blockaden zu lösen oder
    3. durch die Reflexion nach innen Klarheit über eine bestimmte Situation zu gewinnen

Die*der Coachee kann die eigenen inneren Anteile akzeptieren und respektieren lernen, indem sie*er die inneren Teammitglieder zunächst erkennt und sichtbar macht, die jeweiligen positiven Absichten herausarbeitet, das Team im Ist- und bei Bedarf im Soll-Zustand aufstellt und einzelne Teammitglieder miteinander kommunizieren lässt.

Dadurch kann die*der Coachee mehr Leichtigkeit und innere Ruhe entwickeln und in einer stärkeren inneren Balance eine höhere Stimmigkeit zwischen Innen und Außen entwickeln und Alltagssituation besser meistern.3


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Quellen

1 Vgl. Schweitzer und von Schlippe 2016, S. 68 – 69, 80; Rauen 2014, o. S.; Bates 2016, S. 17 – 19
2 Vgl. Lewkowicz und West-Leuer 2020a, o. S.; Lewkowicz und West-Leuer 2020b, o. S.
3 Vgl. Schulz von Thun 2019, S. 14 – 22; Schulz von Thun o. J., o. S.