Abschlussarbeit von Sarah Maschek, als PDF lesen
Einführung
Wenn ich eines in der Coaching-Ausbildung gelernt habe, dann ist es dies:
Ein guter Coach stellt gute Fragen.
Ab Beginn der Ausbildung musste ich mir immer wieder vor Augen halten, dass man als Coach nicht für die Lösung des Coachees verantwortlich ist, sondern dafür, den Prozess der Lösungsfindung bestmöglich zu begleiten.
Und das gelingt umso erfolgreicher, je besser die Fragen des Coaches sind.
Durch kreative Fragetechniken unterstützt der Coach sein Gegenüber darin, verschiedene Perspektiven einzunehmen, Für und Wider in einer Entscheidungssituation zu betrachten, das Problem zu würdigen, positive Ausnahmen zu erkennen und vor allen Dingen, Ressourcen und Stärken wahrzunehmen, zu stärken und mögliche Lösungsansätze zu entwickeln.
Der Coach grenzt sich vom Berater also unter anderem dadurch ab, dass er (in der Regel) eben nicht von sich aus Lösungsvorschläge anbietet.
Vielmehr wird der Coachee als Experte seiner Situation betrachtet, dessen Wissen wir durch Fragetechniken nur zutage fördern müssen.
Nichtsdestotrotz können kleine, sogenannte psychoedukative Elemente im Coaching-Prozess förderlich sein.
Dabei geht es darum, dem Coachee komplexe Sachverhalte über die Funktionsweise der Psyche als leicht verständliche Wissens-Nuggets mit auf den Weg zu geben.
Im Zuge dessen werden also eher verallgemeinernde Konzepte erläutert, ohne die Lösung für die individuelle Situation des Coachees vorwegzunehmen.
Allerdings kann diesem durch das bessere Verständnis intrapsychischer Prozesse eine veränderte Perspektive auf seine eigene Situation ermöglicht und so ggf. auch die Lösungsfindung erleichtert werden.
Wichtig zu beachten ist, dass für die im Folgenden vorgestellten Modelle gilt:
Sie versuchen komplexe Sachverhalte vereinfacht darzustellen.
Das bedeutet, nicht bei jedem Menschen lässt sich jedes Modell 1:1 anwenden. Es kann also sein, dass ein Coachee bspw. eine Phase eines vorgestellten Phasen-Modells nur kurz erlebt oder gar übersprungen hat.
In so einem Fall ist weder das Modell falsch, noch könnte man unterstellen, dass mit dem Coachee “etwas nicht stimmt”. Somit gilt es auch bei dem Einsatz von psychoedukativen Modellen, Fingerspitzengefühl zu beweisen und auch dem Coachee den Hintergrund der Modelle zu erläutern.
Vier psychoedukative Modelle
Im Folgenden sollen exemplarisch vier mögliche psychoedukative Maßnahmen vorgestellt werden, welche im Coaching-Prozess zum Einsatz kommen können.
Circle of Influence
Im Buch “The 7 Habits of Highly Effective People” von Stephen R. Covey (1989) wird die Theorie des Circle of Influence anschaulich erklärt.
Im Alltag gibt es viele Themen, die uns beschäftigen: unsere Finanzen, unsere Gesundheit, die Familie, der Job, das Rentensystem, die Möglichkeit, dass ein Atomkrieg ausbricht …
Nur der Vollständigkeit halber:
Es gibt auch Themen, die uns gedanklich oder emotional gar nicht oder kaum beschäftigen, diese fallen in den Bereich No Concern, sollen uns an dieser Stelle aber erst einmal nicht weiter beschäftigen.
Alle anderen Themen gehören in den sogenannten Circle of Concern.
Innerhalb der Themenfelder, die uns gedanklich und emotional beschäftigen, gibt es einige, auf die wir nicht wirklich einen Einfluss haben, andere hingegen können wir beeinflussen.
Diese Teilmenge des Circle of Concern nennt sich Circle of Influence.
Interessant wird es, wenn man sich ansieht, wofür der Coachee die meiste Zeit und Energie einsetzt:
für Themen, über die er keine Kontrolle hat, oder für solche, die sich von ihm beeinflussen lassen.
Stephen R. Covey unterscheidet an dieser Stelle zwischen Proaktivität und Reaktivität.
Wenn wir unsere Energie beispielsweise darauf verwenden, uns über die Schlange an der Supermarktkasse aufzuregen, über den Straßenverkehr zu ärgern oder darüber, dass der Zug wieder zu spät ist, verhalten wir uns reaktiv statt proaktiv.
Stattdessen könnten wir uns aber auch fragen:
“Was kann ich tun, um nicht in dieser Situation zu landen?”,
oder, wenn ich mich bereits in einem dieser Szenarien befinde:
“Was könnte ich tun, um besser mit der Situation umzugehen?”
Reaktive Verhaltensweisen und Gedanken konzentrieren sich darauf, Schuld zuzuweisen und bergen Potenzial, ein Gefühl der Viktimisierung zu entwickeln.
Dabei werden Bereiche, in denen wir durchaus etwas bewirken können, vernachlässigt und unser Circle of Influence schrumpft.
Wir können uns allerdings auch bewusst entscheiden, uns auf die Dinge zu konzentrieren, die wir beeinflussen können – unseren Circle of Influence –, und somit für proaktive Verhaltensweisen, wodurch sich wiederum unser Circle of Influence vergrößert.
Durch diese Entscheidung gehen wir proaktiv statt reaktiv mit den Situationen um, in denen wir uns sonst möglicherweise rein aufs Ärgern versteift hätten.
In der Schlange an der Supermarktkasse könnten wir uns beispielsweise entscheiden, in der Zeit, in der wir nun warten müssen, bewusst einmal “runterzufahren” und uns auf unseren Körper und unsere Atmung zu konzentrieren.
Oder man nutzt die Zeit, um E-Mails zu beantworten oder Hörbücher zu hören.
Zugleich können wir uns teilweise auch darauf vorbereiten, nicht mehr in gewissen Situationen zu landen. Ob wir uns nun entscheiden, zu einer anderen Uhrzeit, an einem anderen Standort oder gar online einzukaufen:
Wir gehen in die aktive Rolle, statt uns einer Situation ausgeliefert zu fühlen.
Durch den Wechsel der Perspektive vom Circle of Concern zum Circle of Influence können wir unser Gefühl der Handlungsfähigkeit bestärken und uns gleichzeitig bewusst entscheiden, ob wir den negativen Gedanken nachgehen oder unseren Blickwinkel verändern wollen.
Abschließend möchte ich einen Abschnitt aus “The 7 Habits of Highly Effective People” zitieren, der die vorgenannten Unterschiede noch einmal verdeutlicht:
“Anytime we think the problem is ‘out there’, that thought is the the problem.
und weiter:
“We empower what’s out there to control us. The change paradigm is ‘outside-in’— what’s out there has to change before we can change. The proactive approach is to change from the inside-out: to be different, and by being different, to effect positive change in what’s out there—I can be more resourceful, I can be more diligent, I can be more creative, I can be more cooperative.” (Stephen R. Covey, The 7 Habits of Highly Effective People, 1989, S. 89)
Kontroll-Wert-Theorie
Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Thema Stress kann u.a. die Kontroll-Wert-Theorie nach Pekrun helfen, zu verstehen, wieso eine bestimmte (Leistungs-)Situation bei einem selbst Stress erzeugt.
Im Rahmen der Betrachtung können, wie der Name bereits andeutet, die zwei Dimensionen “subjektive Kontrolle” und “subjektiver Wert” herangezogen werden. 1
Im Zusammenhang mit einer anstehenden Prüfung kann dies beispielsweise bedeuten, dass zum einen betrachtet wird, wie wichtig mir diese Prüfung bzw. das Ergebnis derselben ist (subjektiver Wert).
Zum anderen kann ich mich fragen, inwiefern ich glaube, einen Einfluss auf das konkrete Ergebnis zu haben (subjektive Kontrolle).
Wenn mir das Ergebnis besonders wichtig ist und ich zugleich bezweifle, tatsächlich einen Einfluss darauf zu haben, entsteht folglich hoher Stress.
Wenn das Resultat einer Situation für mich keine übergeordnete Priorität hat und ich zugleich sicher bin, das Ergebnis in meinem Sinne beeinflussen zu können, bin ich deutlich entspannter.
In einer mich unter Druck setzenden Situation kann ich mich also fragen, aus welchen Gründen das Ergebnis mir so wichtig ist und ob ich die Bedeutung tatsächlich realistisch eingeschätzt habe. Zugleich kann ich überlegen, was ich tun kann, um mein Gefühl, die Kontrolle über das Ergebnis zu haben, zu erhöhen.
Wenn beispielsweise mein Anspruch lautet, in Klausuren immer Bestnoten zu schreiben und ich nun in der Prüfungsphase unter dem empfundenen Druck leide, gibt es zwei Möglichkeiten, den empfundenen Stress zu regulieren:
Zum einen kann ich mich fragen, wie wichtig es mir ist, beispielsweise, immer eine 1 oder eine 2 zu schreiben, und ob es wirklich so dramatisch ist, wenn möglicherweise auch einmal eine 3 oder eine 4 dabei herumkommt.2
Gleichzeitig kann ich mich auch fragen, wie ich meine Möglichkeiten verbessern kann, ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen, und so meine Handlungsoptionen erweitern.
Beispielsweise, indem ich mir bestimmte Lernmethoden aneigne, mir einen konkreten Zeitplan mache, mir jemanden zum Lernen suche o.Ä. Möglicherweise entscheide ich mich, nur den subjektiven Wert anzupassen oder nur an meiner subjektiv empfundenen Kontrolle über die Situation zu arbeiten.
Vielleicht sind auch beide Herangehensweisen in Kombination für mich (bzw. den jeweiligen Coachee) denkbar.
Durch die Überprüfung des subjektiven Werts eines Ergebnisses und der subjektiven Kontrolle darüber kann ein Coachee also in die Lage versetzt werden, Wege zu finden, um eine als stressvoll empfundene Situation neu zu bewerten.
1 https://de.in-mind.org/article/wie-man-sich-fuehlt-so-lernt-man-der-einfluss-von-emotionen-auf-lernprozess- und-lernerfolg
2 In meinem konkreten Fall habe ich mich sogar gefragt, welche Auswirkungen es hätte, eine Prüfung mal wiederholen zu müssen und festgestellt, dass selbst das eigentlich keine Situation ist, die mich mit Hinblick auf mein langfristiges Ziel ernsthaft negativ beeinträchtigen würde, was mir damals eine starke Erleichterung im bis dahin als sehr stressig empfundenen nebenberuflichen Studium verschafft hat.