Umgang mit Internalisierter Unterdrückung

Welche Ansätze können im Rahmen von Coachingangeboten

zum Empowerment von diskriminierten Personen beitragen?

Abschlussarbeit von Luisa Elsig, als PDF lesen


And we all know that, where there’s no name for a problem, you can’t see a problem, and when you can’t see a problem, you pretty much can’t solve it.

Kimberlé Crenshaw

Die US-amerikanische Juristin und Professorin für Rechtswissenschaft an der University of California, LA und Columbia University Kimberlé Crenshaw beschreibt in diesem Zitat die Herausforderungen von gesellschaftlich verankerten Unterdrückungsformen1 sowie die Notwendigkeit diese zu erkennen und bewusst hervorzuheben.

Strukturelle Diskriminierung erscheint in vielen Formen und Facetten

– angefangen bei Gesetzen und deren Auslegung, über mediale Repräsentation bis hin zu alltäglichen zwischenmenschlichen Umgangsformen. Sie zeigt sich in dem, was in der Mehrheitsgesellschaft als „normal“ angenommen wird, aber auch in der unbewussten Ausgrenzung, die daraus folgt.

In einem solchen Umfeld zu leben und aufzuwachsen, bedeutet zugleich, von diesem Umfeld geprägt zu werden – unabhängig davon, ob eine Person sich dieser Mehrheitsgesellschaft zuordnet oder sich am Rande, bzw. außerhalb von ihr sieht.

Aus dieser, meist unbewussten, Prägung können schädliche Glaubenssätze entstehen.

Sowohl, was die Einstellung gegenüber anderen – außerhalb der Norm verorteten – Personen und Gruppen angeht wie auch das Selbstbild derjenigen, die sich zur Minderheit zählen.

In dieser Abschlussarbeit möchte ich vor allem auf internalisierte Unterdrückung – die unbewusste Übernahme abwertender Einstellungen der Gesellschaft gegenüber Minderheiten durch Betroffene – eingehen und ausführen, welche Praktiken im Kontext von Coachingangeboten Lösungsansätze bieten können.

Gerade der Ansatz des systemischen Coachings eignet sich wegen seiner Berücksichtigung zwischenmenschlicher Beziehungen und der Anerkennung der Einflüsse, die durch verschiedene Rollen innerhalb von interpersonalen Netzwerken ausgehen, um die gesellschaftlichen Prägungen im Selbstbild von diskriminierten Menschen zu erkennen und einzudämmen.

Jedoch bedarf es der Auseinandersetzung mit und dem Verständnis von unterschiedlichen Unterdrückungsformen, um sich einerseits deren Wirkmächtigkeit im Leben von Betroffenen und andererseits der Grenzen von Coachingprozessen bewusst zu sein.

Sowohl für den/die Coachee* wie auch für den/die Coach* stellen die fortdauernden gesellschaftlichen Strukturen, der nur langsam fortschreitende Prozess des gesellschaftlichen Neu-Lernens und die damit andauernde Diskriminierung des/der Coachees* Einschränkungen dar, die erhebliche Einflüsse auf die Entwicklung von Lösungsansätzen haben.

Denn eine Auflösung der Diskriminierungsstrukturen kann es in diesem Kontext nicht geben – daher gilt es vielmehr den Blick darauf zu richten, was im Handlungsspielraum des/der Coachees* liegt und den Umgang mit den ständigen Herausforderungen zu verändern sowie das Selbstbild zu stärken.

Im Rahmen der US-Bürgerrechtsbewegung entstanden in diesem Kontext verschiedene Ansätze zum Empowerment von Betroffenen.

Der Begriff „Empowerment“ beschreibt Strategien und Maßnahmen, die den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen oder Gemeinschaften erhöhen sollen und es ihnen ermöglichen, ihre Interessen (wieder) eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten („Hilfe zur Selbsthilfe“).

Empowerment bezeichnet dabei sowohl den Prozess der Selbstbemächtigung (Emanzipation) als auch die professionelle Unterstützung der Menschen, ihr Gefühl der Macht- und Einflusslosigkeit zu überwinden und ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen.

Doch wie lassen sich solche Strategien im Kontext von Diskriminierung im Rahmen eines Coachingangebots umsetzen?

Im Laufe dieser Abschlussarbeit versuche ich hierauf eine Antwort zu geben und ebensolche Strategien zu skizzieren.

Dekonstruktion: Wie wirken Erfahrungen von Unterdrückung und Ausgrenzung?

Im folgenden Abschnitt skizziere ich die drei verschiedenen Aspekte von Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen:

Einerseits das zeitgleiche Wirken verschiedener Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus und Klassismus und dessen spezifische Ausprägungen.

Andererseits möchte ich einen Zugang zu individuellem Diskriminierungs- und Ausgrenzungserleben ermöglichen, um das für Nichtbetroffene mitunter schwer nachvollziehbare Erleben greifbarer zu machen.

Anschließend gebe ich einen Einblick in Forschungsergebnisse zu Auswirkungen von Diskriminierung und Ausgrenzung.

Dieser einführende Überblick soll grundlegendes Wissen rund um Diskriminierung bieten, welches als theoretisches Fundament für die späteren praktischen Ausführen dient.

Nur die bewusste Auseinandersetzung mit dieser komplexen Thematik ermöglicht die Verflochtenheit von Individuen in dieses gesellschaftliche System und dessen Wirken zu verstehen sowie die individuellen Strategien von Betroffenen besser nachzuvollziehen, beziehungsweise schädliche aufzubrechen.

Intersektionalität – Die Gleichzeitigkeit von Diskriminierung

Während verschiedene Unterdrückungssysteme wie Sexismus, Rassismus und Queerfeindlichkeit inzwischen als Teil des öffentlichen Diskurses den meisten Lesenden bekannt sein dürften, gibt es darüber hinaus viele weitere Diskriminierungsformen, die bisher eher selten behandelt werden:

Ableismus
die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen,

Klassismus
die Abwertung von sozio-ökonomisch benachteiligten Menschen,

Lookismus
Diskriminierung von Personen, die nicht dem Norm-Schönheitsformat entsprechen

sowie viele mehr.

Gleichzeitig gehen mit diesen ganz unterschiedlichen Abwertungssystemen auch verschiedene Formen der Diskriminierung einher – so unterscheiden sich abwertende Begriffe und diskriminierende Praktiken je nach Art; darüber hinaus variiert der Grad an sozialer Ablehnung gegen die Diskriminierungsform.

Während Rassismus und Sexismus öffentlich geächtet werden, gelten sozio-ökonomisch benachteiligte Menschen in einer Leistungsgesellschaft wie der deutschen oft als alleinverantwortlich für ihr Schicksal – was sich in entsprechenden Regelungen wie der Hartz IV-Verordnung manifestiert.

Darüber hinaus sind Menschen von verschiedenen Diskriminierungsformen gleichzeitig betroffen, was als Mehrfachdiskriminierung bezeichnet wird:

So erlebt eine Schwarze2 Frau im Rollstuhl eine andere Form der Diskriminierung als ein weißer3 Mann im Rollstuhl, bzw. eine sozio-ökonomisch benachteiligte weiße Transperson, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlt, eine andere Form der Diskriminierung als eine finanziell priviligierte weiße Transperson.

Das gleichzeitige Wirken verschiedener Unterdrückungssysteme geht mit spezifischen Diskriminierungserfahrungen einher und wird als Intersektionalität bezeichnet. Besonders das Zusammenwirken von race4 , Gender5 und Klasse wird häufig diskutiert.

Kimberlé Crenshaw beschreibt das Phänomen der Mehrfachdiskriminierung mit dem anschaulichen Beispiel eines Unfalls an einer Straßenkreuzung:

„Wenn es an einer Kreuzung zu einem Unfall kommt, kann dieser von Autos aus jeder Richtung verursacht worden sein – manchmal sogar von Fahrzeugen aus mehreren Richtungen gleichzeitig. Ähnliches gilt für eine Schwarze, die an einer `Kreuzung ´ verletzt wird, die Ursache könnte sowohl sexistische als auch rassistische Diskriminierung sein.“

Was bedeutet es, sich diskriminiert zu fühlen?

Diskriminierung bezeichnet eine Benachteiligung oder Herabwürdigung von Gruppen oder einzelnen Personen nach Maßgabe bestimmter Wertvorstellungen oder aufgrund unreflektierter, z. T. auch unbewusster Einstellungen, Vorurteile oder emotionaler Assoziationen.

Doch was bedeutet es für Betroffene, sich diskriminiert zu fühlen?

Diskriminierung geht eine Zuordnung vorweg, die Menschen aufgrund bestimmter Merkmale oder Eigenschaften einer Gruppe zuweist.

Somit schwingt bei Diskriminierung immer auch ein Absprechen der Individualität mit, die Personen nicht als einzigartig und mit einem individuellen Charakter ausgestattet sieht, welcher sich aufgrund diverser Erfahrungen und Vorprägungen entwickelt, sondern sie erkennt ihnen dieses Privileg ab.

Sind Einzelpersonen von Diskriminierung betroffen, erfahren sie sich in diesem Moment als nicht ganzheitlich mit ihren menschlichen Facetten erkannt, sondern auf verbreitete Vorurteile über bestimmte Gruppen reduziert.

Damit werden im Moment der Diskriminierung nicht nur die Personen, sondern zugleich auch die gesamte Gruppe, der sie angehören, beschränkt und abgewertet.

 


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1 Der Begriff „Unterdrückungsform“ wird hier synonym zu „Diskriminierung“ verwendet. Zugleich umschreibt „Unterdrückungssystem“ oder „Abwertungssystem“ die gesellschaftliche Struktur bestehend aus verbreiteten Normen und nicht mehr hinterfragten Praktiken, die Diskriminierung ermöglicht.
2 Der Begriff „Schwarz“ stellt hier keine beschreibende Bezeichnung der Hautfarbe dar, sondern wird als politischer Begriff verwendet, der auf die spezifischen Erfahrungen, die mit dieser Zuschreibung einhergehen, hinweist– um dies zu kennzeichnen, wird der Begriff entgegen dem Adjektiv „schwarz“ groß geschrieben.
3 Ähnlich zu dem Begriff „Schwarz“ hat sich im Diskurs der Begriff „weiß“ für Menschen mit heller Hautfarbe, denen keine migrantisierten Merkmale (z.B. dunkle Hautfarbe, Kopftuch,..) gelesen werden, durchgesetzt. Um die politische Dimension kenntlich zu machen, wird der Begriff kursiv hervorgehoben.
4 Da der deutsche Begriff „Rasse“ historisch im Kontext des Nationalsozialismus steht, wird der englische Begriff „race“ verwendet. Der Begriff hebt hervor, dass es keine biologischen Rassen gibt, gleichzeitig jedoch soziale Unterschiede, die mit verschiedenen Hautfarben und phänotypischen Merkmalen wie Augen- / Haarfarbe oder Augenform einhergehen.
5 „Gender“ meint im Gegensatz zum biologischen Geschlecht eines Menschen, das soziale Geschlecht, das einer Person aufgrund ihrer äußeren Merkmale zugeschrieben wird und darüber hinaus auch charakteristische Eigenschaften, die jeweils als maskulin oder feminin interpretiert werden, beinhaltet.