innere Haltung und äußere Haltung
Abschlussarbeit von Melanie Bühring, als PDF lesen
Einleitung und persönliche Motivation
Das Thema Haltung hat sehr viele Facetten und begegnet uns in vielen verschiedenen Zusammenhängen. Als Sportlehrerin, Übungsleiterin im Rehabilitationssport, PilatesTrainerin, Yoga-Kursleiterin und vor allen Dingen als Tänzerin, spielt die Haltung des Körpers für mich persönlich und im beruflichen Kontext seit mehr als dreißig Jahren eine bedeutende Rolle.
Als Führungskraft, aber auch in jeder Begegnung des Alltags, ist meine innere Haltung ein ganz wesentlicher Aspekt meines Handelns. Im Coaching ist die Haltung des Coaches von großer Bedeutung für den Prozess.
Ich möchte in dieser Arbeit verschiedene Definitionen von Haltung in unterschiedlichen Kontexten zusammentragen und Zusammenhänge beleuchten. Darüber hinaus interessiert es mich, wie die innere und die äußere Haltung in Zusammenhang stehen und auf welche Weise diese Verbindung sich darstellt.
Definitionen des Begriffes Haltung in verschiedenen Kontexten Haltung im Coaching
Die professionelle Haltung ist der Kernaspekt des systemischen Handelns1. Sie bestimmt, mit welcher Einstellung wir Menschen begegnen, an Dinge herangehen und uns Herausforderungen stellen.
Im systemischen Prozess besteht für den Coach die Haltung des Nichtwissens, so dass vom Klienten eigenständig neues Wissen entwickelt werden kann.2 Er wird nicht mit Ratschlägen abgespeist, sondern entwickelt aktiv neue Ideen und Gedanken. Der Coach ist außerdem interessiert am System des Klienten und wird im Prozess in dieses System eingebunden. Er agiert voller Vertrauen in das Gegenüber, so dass häufig im Verlauf dieses Vertrauen zu einem zunehmenden Selbstvertrauen des Klienten wird.
Manuel Barthelmess betont insbesondere die Begegnung auf Augenhöhe.3 Der Coach stellt sich nicht als Allwissender über seinen Klienten. Ihm ist es wichtig anzuregen, statt zu steuern und dabei immer neutral zu bleiben.4
Sonja Radatz beschreibt zwei unterschiedliche Arten der Haltung im Coaching.5 Die Gucklochhaltung stellt metaphorisch die Sicht durch das Schlüsselloch einer geschlossenen Tür dar. Der vor dieser geschlossenen Tür stehende Betrachter (hier der Coach), steht außerhalb des Geschehens, das so nicht mit ihm in Verbindung steht. In dieser Haltung ist der Coach ein neutraler Beobachter, der objektiv berät.
Die andere von Radatz beschriebene Haltung bezeichnet sie in Bezug auf von Foerster als Teil-der-Welt-Haltung. „Wir sind Teil des sozialen Systems, das wir beschreiben; und indem wir handeln, beeinflussen wir stets das gesamte soziale System, an dem wir teilnehmen und teilhaben.“6 Als Teil eines Systems sind wir nicht hilflos, sondern können selber Einfluss nehmen – oder das System verlassen. In dieser systemischen Sichtweise ist der Coach Teil des sozialen Systems, in dem er mit seinem Coachee interagiert.7
Haltung im Tanz
Der Bereich Tanz umfasst ein weites Feld verschiedener Tanzrichtungen. Ich werde mich im Folgenden auf den Paartanz beziehen und hier den Fokus besonders auf die Lateinamerikanischen und die Standardtänze richten.
Bei den Lateinamerikanischen Tänzen bewegen sich beide Partner mit etwas Abstand voneinander.8 Erst dieser ermöglicht es den Tanzenden, verschiedene Knie- Hüft- und Drehbewegungen durchzuführen. Der Abstand liefert also Bewegungsfreiheit. Trotzdem ist die Verbindung durch die Tanzhaltung oder durch jeweils eine gefasste Hand vorhanden. Diese Verbindung ermöglicht es, dass gemeinsam Bewegungen ausgeführt werden, die allein in dieser Form nicht möglich wären. Die Haltung ermöglicht gemeinsame Bewegungsabläufe und Dynamiken, die ein Partner allein
nicht ausführen und erleben kann.
Führen und Folgen sind häufig verwendete Begriffe im Tanzsport. Entgegen der allgemein bestehenden Sichtweise ist es nicht so, dass der Herr allein die Führungsaufgabe übernimmt. Vielmehr handelt es sich um ein Zusammenspiel von Impulsen, die gesetzt und aufgenommen werden, um daraus einen neuen Impuls entstehen zu lassen und neue Energie freizusetzen.
Diese Aspekte gelten auch für die Haltung im Standardtanzen. Hier sind die Tanzenden durch ständigen Körperkontakt miteinander verbunden.9 „Das stellt hohe Anforderungen an Balance, Körperhaltung und wechselseitige Führung, durch die eine völlig aufeinander abgestimmte, harmonische Paarbewegung entstehen soll.“10 In dieser Haltung liegt die Herausforderung, aber auch die Chance für gemeinsame Balance, wechselnde Körpergeschwindigkeiten, Drehungen und komplizierte Schritte.11 Die Tanzenden sind durch die Haltung eng verbunden und können durch das Sich-Einlassen auf den Partner, das Aufnehmen der Impulse, den gezielten Einsatz von Energie und auch durch gegenseitige Rücksichtnahme interagieren.
Haltung im Hinblick auf den Bewegungsapparat bzw. die Körperhaltung
Eine gute, aufrechte Körperhaltung zeichnet sich dadurch aus, dass die Muskeln, die für die aufrechte Haltung sorgen, in einer guten Balance zueinander stehen.12; Durch vermehrtes Sitzen, Stehen und einseitige Belastung durch die Arbeit, werden einige Muskeln kaum beansprucht und so nicht stark genug trainiert. Die Bauchmuskulatur ist hier ein gutes Beispiel. Auch einseitige sportliche Belastung kann zu muskulären Dysbalancen und einer ungünstigen Haltung führen.
Ungleich ausgeprägte Muskeln (muskuläre Dysbalancen) sorgen für Fehlhaltungen, die zu Schmerzen und Erkrankungen des Bewegungsapparates führen können. Rückenschmerzen sind wohl die häufigsten Beschwerden in diesem Zusammenhang.
Eine gute körperliche Haltung erfordert Bewegung. Jedes starre Verharren, auch in einer aufrechten Position, ist für den Körper schädlich. Gut ist eine wechselnde, sich verändernde Belastung, indem man zum Beispiel abwechselnd im Sitzen und im Stehen arbeitet sowie ein präventives Training beispielsweise durch funktionelle Gymnastik. Insgesamt zeigen diese Beispiele deutlich, dass man aktiv an der eigenen Haltung arbeiten muss.
Coaching als Tanz
Sonja Radatz vergleicht systemisches Coaching mit einem Tanz zwischen Coach und Coachee in dem beide als gleichwertige Partner über das Parkett fliegen, sich im Rhythmus der Musik wiegen und geschickt Hindernissen ausweichen, indem der Coach Fragen stellt und der Klient die passenden Lösungen entwickelt.13 Es gibt keinen Klugen, der versucht den Dummen über die richtigen Schritte zu belehren. Vielmehr führt der eine Partner über Fragen, während der andere über die Figuren führt, die er auf dem Tanzparkett bildet. „Beide Partner passen sich im Idealfall laufend aneinander an – in Form, Dynamik, Ausführung und nonverbalem Ausdruck.“14 Dieser Tanz ist etwas, worauf man sich einlassen muss, so Radatz.15 Man kann ihn nicht bis ins Detail planen, denn jeder Schritt bringt eine neue Ausgangslage für den folgenden Schritt, an die man sich immer wieder flexibel anpassen muss. Aus dieser Sichtweise heraus ergibt sich für Radatz die Haltung, die sie dem systemischen Coaching zugrunde legt. Als wertschätzender Partner, der offen und flexibel, als Prozessexperte auf Augenhöhe mit dem Klienten zusammenarbeitet.
Auch Manuel Barthelmess bezieht sich in der Beschreibung des Coachings auf den Tanz. Aus seiner Sicht ist es so, dass der Coach als Experte für den Prozess sich als „…Teil des Tanzes sieht, den er mit dem Klienten gemeinsam aufführt. Somit ist er gleichzeitig Führer und Geführter.“
Quellen bis hierher
1 vgl. Barthelmess, 2016, S.9
2 vgl. Barthelmess, 2016, S. 34f
3 vgl. Barthelmess, 2016, S. 14
4 vgl. Barthelmess, 2016, S.31
5 vgl. hier und im Folgenden Radatz, 2010, S. 18f.
6 Radatz, 2010, S. 18
7 vgl. Radatz, 2010, S. 18
8 vgl. hier und im Folgenden Krombholz/Leis-Haase, 1999, S. 12f.
9 vgl. Krombholz/Leis-Haase, 1998, S. 10f.
10 Krombholz/Leis-Haase, 1998, S. 10f.
11 vgl. Krombholz/Leis-Haase, 1998, S. 11
12 vgl. Boger et. al., 2012, S. 54 f.
13 vgl. Radatz, 2010, S. 14
14 Radatz, 2010, S.14
15 vgl. Radatz, 2010, S. 14
16 Barthelmess, 2016, S. 35